Interview mit Yuriko Backes in der Börsen-Zeitung

Nächste Generation nicht mit schönen Worten zufrieden

Interview: Börsen-Zeitung (Kai Johannsen)

Börsen-Zeitung: Frau Backes, wie definieren Sie aus Sicht des Finanzministeriums und des Großherzogtums Luxemburg Transition und Transition Finance zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Yuriko Backes: Allgemein geht es bei Transition Finance um die Finanzierung von Vermögenswerten, die uns helfen, klimaneutral zu werden. Das sind jene Investitionen, die Unternehmen bei der Umsetzung langfristiger Strategien zur Reduzierung von Treibhausgasen unterstützen sollen. Das betrifft alle Branchen, vor allem jedoch Stahl, Zement und Bau, die viel Kohlenstoffdioxid ausstoßen. Dieser Übergang hat mit dem Krieg in der Ukraine deutlich an Aktualität gewonnen. Der Krieg hat die Anfälligkeit der europäischen Wirtschaft offenbart, die größtenteils abhängig von fossilen Rohstoffen ist. Der Übergang zur Klimaneutralität ist heute eine Frage der Sicherheit für die Europäische Union geworden, und ich bin davon überzeugt, dass wir hier in den nächsten Jahren eine massive Welle von Investitionen sehen werden. Luxemburg und damit auch das Finanzm nisterium stützen sich hier vor allem auf die Definition von Transition und Transition Finance der EU. In ihrer,,Strategy for financing the transition towards a sustainable economy" konzentriert sich die EU auf einen Rahmen, um bereits ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu unterstützen. Die EU-Strategie bietet Instrumente und Maßnahmen, um den Wirtschaftsakteuren in allen Branchen unabhängig von ihrer Ausgangssituation die Finanzierung der Umstellung auf Klimaziele zu ermöglichen.

Börsen-Zeitung: Was sind für Sie die größten Herausforderungen auf diesem Weg?

Yuriko Backes: Die Umstellung unserer Wirtschaft auf Klimaneutralität ist eine der größten Herausforderungen, wenn nicht die größte Herausforderung. Um diese Umstellung zu erreichen, brauchen wir die nötigen finanziellen Mittel. Damit Transition Finance zum Erfolg wird, müssen Gesetze und Regulierungen abgestimmt werden, was eine Zusammenarbeit auf vielen Ebenen erfordert. Dies ist eine zentrale Herausforderung. Luxemburg und die EU müssen dabei auch mit jenen Ländern zusammenarbeiten, die nur über eine geringe Wirtschaftsleistung verfügen, um einen gerechten Übergang zu gewährleisten. Beim gesamten Prozess ist es wichtig, dass öffentliche und private Finanzinstitutionen optimal kooperieren und sich unterstützen. Der luxemburgische Finanzplatz nimmt eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung innovativer und nachhaltiger Finanzinstrumente ein und hat sich die Mobilisierung des Privatsektors auf die Fahnen geschrieben. So arbeitet Luxemburg beispielsweise im Rahmen der Luxemburg-EIB Climate Finance Platform mit der Europäischen Investitionsbank —kurz EIB — zusammen, um Investitionen beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Dabei geht es darum, öffentliches Geld als Katalysator zu nutzen, indem Risiken verringert werden um privates Kapital zu mobilisieren.

Börsen-Zeitung: Wie gehen Sie diese Herausforderungen an, und welchen Zeithorizont haben Sie sich dafür gesetzt?

Yuriko Backes: Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten, sind übergreifende Maßnahmen notwendig. Luxemburg orientiert sich stark an den Vorgaben der EU, die am 6. Juli 2021 ihre neue Strategie veröffentlicht hat. Diese Strategie soll einen soliden Rahmen für den Übergang zur Klimaneutralität schaffen. Die EU hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, wie beispielsweise die Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber den Werten von 1990. Bis 2050 will die EU auch der erste klimaneutrale Kontinent werden. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Luxemburg und die EU koordiniert vorgehen. Luxemburg hat einen eigenen nationalen Energie- und Klimaplan (PNEC) entwickelt, um die nationalen Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz bis 2030 zu erreichen. Der PNEC ist ein Fahrplan, der durch Verordnungen, Programme und Projekte in den spezifischen Bereichen seit 2020 und noch bis 2030 in die Praxis umgesetzt wird.

Börsen-Zeitung: Welche Herausforderungen bzw. Probleme lassen sich auf kurze Sicht womöglich erstmal nicht oder nur sehr schwer lösen?

Yuriko Backes: Die Investoren zögern noch oft, in die Übergangsfinanzierung einzusteigen.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Sie schätzen das Risiko höher ein, können die Auswirkungen ihrer finanziellen Entscheidungen nur schwer messen und müssen mit einem regulatorischen Umfeld zurechtkommen, das sich verändert. Bemerkbar macht sich dies vor allem in jenen Branchen, die wesentliche Dienstleistungen für die Gesellschaft und die Wirtschaft erbringen, aber Schwierigkeiten haben, ihre Emissionen zu reduzieren. Dazu gehören Stahl, Aluminium oder Düngemittel. Derzeit entwickeln die EU und die Staaten Kriterien und Übergangspläne, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

Börsen-Zeitung: Was sind für Sie die größten Chancen bei diesem Übergangsprozess?

Yuriko Backes: Damit die Europäische Wirtschaft ihren CO2-Ausstoß reduzieren kann, muss viel investiert werden. Wir werden auch Investitionen benötigen, die bisher nicht "grün" sind — entweder für den Übergang oder zur Überbrückung —, bis es dann entsprechende grüne Technologien gibt. Das bietet Chancen für Investoren und Vermögensverwalter. Denn Regulierung unterstützt auch jene Investitionen, die noch nicht grün sind, aber dazu beitragen, Geschäftsfelder nachhaltiger zu gestalten.

Luxemburg sieht in diesem Wandel eine Chance, um neue Finanzaktivitäten aufzubauen, die gleichzeitig die Klimaziele unterstützen. So wurde beispielsweise 2007 in Luxemburg auf Initiative der Europäischen Investitionsbank die erste grüne Anleihe notiert. Seitdem hat sich einiges getan, und der luxemburgische Finanzplatz wurde eines der wichtigsten Zentren für grüne Fonds weltweit. Fast die Hälfte aller global gehandelten grünen Anleihen sind heute an der Börse in Luxemburg notiert.

Börsen-Zeitung: Wo liegen die größten Risiken?

Yuriko Backes: Übergangsrisiken treten auf, wenn wir von einer umweltbelastenden zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft übergehen. Sie können entstehen, wenn politische Maßnahmen sich ändern oder Investitionen neu ausgerichtet werden, um den CO2-Ausstoß und dessen Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren. Obwohl politische Maßnahmen gegen den Klimawandel kurzfristig negative Effekte für die Wirtschaft haben können, ist es auf lange Sicht schädlicher, diese Maßnahmen zu verzögern. Die luxemburgische Finanzaufsichtsbehörde empfiehlt daher den Finanzinstituten, ihre Stresstestkapazitäten auszubauen, um zu verstehen, wie sich der Klimawandel und andere Veränderungen der Natur auf ihre finanzielle und operative Position auswirken können. Die Europäische Zentralbank hat im November 2022 einen Bericht veröffentlicht, in dem sie feststellt, dass Banken noch weit davon entfernt sind, Klima- und Umweltrisiken zu steuern. Sie fordert die Banken auf, bis spätestens Ende 2024 ihre Klima- und Umweltrisiken angemessen zu kategorisieren und deren Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit zu bewerten. Genau aus diesem Grund hat die Luxembourg Sustainable Finance Initiative (LSFI) in Zusammenarbeit mit dem Thinktank 2° Investing Initiative (2DII) eine erste landesweite Klimaszenario-Analyse luxemburgischer Finanzinstitute durchgeführt. Die Analyse, die von Juni 2021 bis Februar 2022 lief, nutzte die PACTA-Methode —also das Paris Agreement Capital Transition Assessment —, um zu bewerten, ob und wie Kredite und Investitionsportfolios an den Zielen des Pariser Abkommens ausgerichtet sind. Insgesamt umfasste die Analyse 52 Finanzinstitute aus der Investmentfonds-, Versicherungs- und Bankenbranche.

Börsen-Zeitung: Welche Vermögenswerte und Assets werden Ihrer Meinung nach am stärksten vom Wandel profitieren bzw. nicht profitieren und zu sogenannten Stranded Assets werden?

Yuriko Backes: Um einen globalen Temperaturanstieg von über 1,5°C zu verhindern, müssen Ze'chen und Ölfelder in Zukunft stillliegen. Der Nichtabbau dieser fossilen Energieträger wird logischerweise wirtschaftliche und soziale Herausforderungen mit sich bringen, da heutzutage immer noch ganze Wirtschaftszweige von fossilen Rohstoffen abhängen. Investitionen, die den Klimawandel nicht überstehen können, werden in den nächsten Jahren meiner Meinung nach an Wert verlieren. Es ist jedoch schwer zu sagen, welche Vermögenswerte vom Wechsel zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft am meisten profitieren werden, weil dieser Wandel mit vielen Fragezeichen versehen ist. Sektoren wie erneuerbare Energien und Wasserinfrastruktur werden sehr wahrscheinlich davon profitieren können. Diese Branchen helfen auch dabei, den Klimawandel zu bekämpfen und Energiekosten zu senken. Zahlreiche Faktoren spielen bei einer Neubewertung eine Rolle. Durch den Krieg in der Ukraine haben Öl und Gas zum Beispiel ein Comeback erlebt. Das dürfte jedoch ein zeitlich befristeter Effekt sein, da mit dem Krieg auch die Energieabhängigkeit Europas stärker in den Fokus geraten ist. Erneuerbare Energien haben durch den Krieg dauerhaft an Bedeutung gewonnen, weil sie eine neue Versorgungssicherheit garantieren. Der Krieg wird daher die Energiewende massiv beschleunigen und weitreichende Folgen für die globalen Energiemärkte haben.

Börsen-Zeitung: Welche neuen Finanzierungsformen und Finanzierungsinstrumente brauchen wir, um den Wandel zu realisieren?

Yuriko Backes: Es gibt mehrere, auch neue Möglichkeiten, den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu finanzieren. Zum Beispiel kann man grüne Anleihen begeben oder Kohlenstoffemissionen mit Zahlungen ausgleichen — das sogenannte Carbon Offsetting. Der Luxemburger Finanzplatz hat über die vergangenen 15 Jahre eine ganze Reihe von innovativen Instrumenten entwickelt, um Firmen und Investoren bei der Finanzierung ihrer Umstellung zu helfen. So hat die Luxemburger Börse 2016 den Luxembourg Green Exchange, kurz LGX, ins Leben gerufen. Das ist die weltweit erste Plattform für grüne, soziale und nachhaltige Wertpapiere. Der LGX will nachhaltige Investitionen erleichtern und zum Wachstum der nachhaltigen Finanzwirtschaft beitragen. Ein anderes Beispiel ist der International Climate Finance Accelerator — kurz ICFA —, der 2018 ins Leben gerufen wurde. Dieses innovative Instrument soll aufstrebende, auf Klimafinanzierung spezialisierte Fondsmanager unterstützen. Die Regierung greift außerdem auf verschiedene Instrumente zurück, um den Übergang der Wirtschaft zu unterstützen. Das Großherzogtum Luxemburg hat im Jahr 2020 seine erste staatliche Nachhaltigkeitsanleihe begeben, die für grüne und soziale Investitionen in mindestens 65 Projekte genutzt wird. Damit war Luxemburg das erste europäische Land sowie das erste AAA-bewertete Land weltweit, das eine staatliche Nachhaltigkeitsanleihe emittiert hat. Luxemburg hat auch andere Finanzierungsinstrumente erforscht, wie beispielsweise die Mischfinanzierung — also Blended Finance —, um den Übergangsprozess zu er-leichtem, und arbeitet darüber hinaus auch mit multilateralen Entwicklungsbanken an diesem Thema. 2006 haben wir außerdem Luxflag gegründet, eine unabhängige, internationale Agentur, die Label für nachhaltige Produkte vergibt.

Börsen-Zeitung: Was ist Ihr größter Wunsch in Sachen Transition zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Yuriko Backes: Als Finanzministerin ist mir die Ausrichtung von Finanzprodukten an Nachhaltigkeitszielen sehr wichtig. Ein Beispiel sind Investmentfonds und Versicherungspolicen, die das Pariser Abkommen unterstützen. Dabei ist es in meinen Augen entscheidend, dass wir Risiken bei unseren täglichen Geschäfts- und Investitionstätigkeiten berücksichtigen und die aktuellen Vorschriften, wie beispielsweise die Sustainable Finance Disclosure Regulation und die EU-Taxonomie, nutzen, um für Transparenz und gegen Greenwashing zu kämpfen. Darüber hinaus liegt mir ein weiteres Thema sehr am Herzen. Ich setzte mich dafür ein, dass wir Frauen auf der ganzen Welt unterstützen. Das Finanzministerium Luxemburg investiert auf verschiedenen internationalen Plattformen in Projekte.

So werden beispielsweise Bäuerinnen und Unternehmerinnen von der Afrikanischen Entwicklungsbank,'bei der wir Mitglied sind, in 27 Ländern mit 1,2 Mrd.

Dollar unterstützt. Hier im Land wurde vor kurzem die Charta der Frauen im Finanzsektor ins Leben gerufen, die sich für mehr Frauen gerade auch in Führungspositionen einsetzt. Gleichstellung ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Frage, die zu besseren Entscheidungen für Unternehmen und für die Gesellschaft führt. Aus diesem Grund habe ich das Ausarbeiten dieser Charta von Anfang an unterstützt und auch die Schirmherrschaft übernommen. Ganz zum Schluss vielleicht noch ein persönliches Wort: Ich bin Mutter und möchte meinen Kindern eine Welt hinterlassen, in der Umweltfaktoren eine viel größere Rolle bei Finanzentscheidungen spielen als bislang. Die nächste Generation gibt sich nicht mit schönen Worten zufrieden. Für sie brauchen wir konkrete Lösungen und Verbesserungen.

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