Interview mit Yuriko Backes im Telecran

"Ein Strauß an Vorteilen"

Interview: Telecran (Martina Folscheid)

Telecran: Frau Ministerin, Sie sind nun seit gut vier Wochen im Amt. Wie lautet die Bilanz?

Yuriko Backes: Der Start war ein Sprung ins kalte Wasser. Es ging direkt los mit zahlreichen Treffen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Praktisch am Tag nach meinem Amtsantritt habe ich mich mit Pascal Saint-Amans, dem OECD-Direktor für Steuerangelegenheiten, hier in Luxemburg getroffen. Einige Tage später habe ich in Brüssel an den Sitzungen der Eurogruppe und des Rates für Wirtschaft und Finanzen teilgenommen. In diesem intensiven Rhythmus geht es weiter. Mein Terminkalender ist voll und in viele Themen, die teils sehr komplex und technisch sind, muss ich mich einarbeiten. Dabei unterstützt mich ein erfahrenes, kompetentes Team. Es ist ein spannendes und zugleich forderndes Amt.

Telecran: Sie leiten als erste Frau Luxemburgs das Finanzministerium. Was, glauben Sie, hält die Bevölkerung von der weiblichen Besetzung?

Yuriko Backes: Ich glaube, es geht den Bürgerinnen und Bürgern vielmehr darum, dass ich mei­ne Arbeit mache. Ich bin der Meinung, dass gesunde und stabile Staatsfinan­zen eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, mittel- und langfristige Politiken zu entwickeln, die dazu beitragen, Perspektiven zu schaffen und unser Land erfolgreich auf die Zukunft vorzubereiten. Das wird sicherlich eine meiner Motivationsquellen sein für die Aufgaben, die vor mir liegen. Natürlich freut es mich, dass nach und nach mehr Frauen an diesem Ge­staltungsprozess teilnehmen, sowohl in Luxemburg als auch auf internatio­naler Ebene. Das schafft einen Mehr­wert, und irgendwann wird sich hof­fentlich die Frage des Geschlechts nichtmehr stellen.

Telecran: Müssen Sie sich stärker behaupten als ein Mann?

Yuriko Backes: Diese Frage wird mir nicht zum ersten Mal gestellt. Ich habe meinen Charakter, behaupte mich auf meine Art und Wei­se, konzentriere mich auf den Auftrag und stelle mir die Frage, ob ich mich mehr oder weniger behaupten muss als ein Mann, gar nicht. Auch wenn diese Frage in meinem Alltag nicht sehr oft eine Rolle spielt, bin ich mir bewusst, dass es noch viel zu tun gibt beim The­ma Chancengleichheit, für welches ich mich weiterhin einsetzen werde.

Telecran: Welche Dossiers haben Sie sich vorgenommen bis zu den Wahlen prioritär zu bearbeiten?

Yuriko Backes: Es stehen nationale Dossiers auf der Tagesordnung, aber auch eine ganze Reihe von europäischen Themen und internationalen Initiativen, darunter die OECD-Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung. All diese Entwicklungen sind zu wichtig, um nur bis zu den Wahlen zu denken oder zu planen. Meine Priorität wird es bleiben, mich mit der nötigen Sorgfalt um den Staatshaushalt zu kümmern und mich für die Interessen Luxemburgsund seines Finanzplatzes einzusetzen, ohne dabei übergeordnete Ziele aus den Augen zu verlieren. Sinn und Zweck die­ser Bemühungen muss es bleiben, für das Wohlergehen der Menschen in Luxemburg zu sorgen. Als Finanzministerin will ich meinen Teil dazu beitragen.

Telecran: Der Zeitpunkt Ihres Starts ist heikel: Globale Unternehmensbesteuerungs-Reformen könnten dazu führen, dass Investoren oder Konzerne dem Land den Rücken kehren. Was wollen Siedagegen tun?

Yuriko Backes: Sie sprechen die globale OECD-Reform an. Luxemburg hat aktiv daran mitgearbeitet. Ich teile Ihre pessimistische Sichtweise deshalb nicht. Natürlich bringt dieser Wandel Herausforderungen mit sich. Doch wenn es einheitliche Regeln und einen globalen Steuersatzgibt, dann gelten gleiche Bedingungen für alle. Dadurch treten die Vorteile Luxemburgs wie kurze Wege, vielsprachige und gut ausgebildete Mitarbeiter, eine zentrale Lage, Expertise vor Ort, stabile politische Verhältnisse und gesunde Staatsfinanzen viel mehr in den Vordergrund.

Telecran: Reichen die Vorteile, die Sie auf der Konferenz der Unternehmer-Vereinigung UEL im Januar aufzählten, aus: politische Stabilität, eine hervorragende Infrastruktur und das Knowhow des Finanzökosystems?

Yuriko Backes: Diese Faktoren werden durch einheitliche Regeln auf globaler Ebene definitiv an Bedeutung gewinnen. Luxemburg muss weiter auf seine Expertise setzen. Die Zeiten eventueller Souveränitätsnischen sind längst vorbei und Luxemburg hat über die letzten Jahre klar gezeigt, dass es nicht trotz, sondern wegen einheitlicher Rahmenbe­dingungen stark wachsen kann.

Telecran: Sind diese Vorteile nicht auch in anderen Ländern zu finden? Was hebt Luxemburg heraus?

Yuriko Backes: Das Profil von Luxemburg ist schoneinzigartig. Das liegt an der Mischung der verschiedenen Faktoren. Letztlich sind es die Anleger und Unternehmen, die entscheiden. Da hat Luxemburg seit Jahren eine positive Bilanz vorzuweisen, wie zuletzt auch der Brexit gezeigt hat. Für den einen mag die politische Stabilität sowie die Berechenbarkeit der Politik entscheidend sein, für den anderen die Tatsache, dass wir regel-konform sind und dies auf europäischer und internationaler Ebene auch anerkannt ist. Es ist jener Strauß an Vorteilen, der vielen etwas bietet, der den Erfolg ausmacht.

Telecran: Was denken Sie über den Richtlinienvorschlag "Unshell", mit dem die EU-Kommission am22. Dezember ankündigte, massivgegen Briefkastenfirmen vorzugehen?

Yuriko Backes: Luxemburg unterstützt generell den Kampf gegen aggressive Steuerplanung und hat dies auch über die letzten Jahre bewiesen. In diesem Fall haben wir allerdings Bedenken, dass der Richtlinienvorschlag in der aktuellen Fassung über das Ziel hinausschießt. Vor allem stellt sich die Frage des Mehrwerts dieser Initiative angesichts der ganzen Palette von Instrumenten, die während der letzten Jahre in diesem Bereich geschaffen wurden. Diese Instrumente dienen jetzt schon der Bekämpfung der Steuervermeidung und des Nutzens von Firmenkonstrukten aus rein steuerlichen Gründen. Da die Kriterien der Richtlinie in der aktuellen Fassung extrem breit gefasst sind, ergibt sich ein Problem der Proportionalität. Außerdem besteht das Risiko neuer Markteintrittsbarrieren und Restriktionen, die das Funktionieren des EU-Binnenmarktes beeinträchtigen könnten. Dadurch würde dann auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber Drittländern geschwächt. Die Diskussionen hierzu im Ecofin-Rat haben noch nichtangefangen. Luxemburg wird sich für eine Lösung einsetzen, die sinnvoll und angemessen ist.

Telecran: Wie empfindlich könnte dieses Vorgehen den Luxemburger Staatshaushalt treffen?

Yuriko Backes: Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich dies vorauszusagen, auch, weil noch keine endgültige Fassung der Richtlinie vorliegt.

Telecran: Wie wollen Sie einen Kompromiss finden zwischen einer proeuropäischen Haltung und dem Streben danach, die nationalen Interessen Luxemburgs zu wahren?

Yuriko Backes: Luxemburg war von Anfang an pro-europäisch und hat EU-Institutionenhier willkommen geheißen. Das Land hat die EU in vieler Hinsicht mitgestaltet und umgekehrt auch von den Vorteilen seiner Mitgliedschaft profitiert. Es bestand eigentlich stets ein pro­europäischer Konsens, der natürlich auch die nationalen Interessen im Blick behält, und beides ist nicht grundsätzlich unvereinbar. Von daher ist diese Abwägung nichts Neues, sondern etwas, was wir seit Jahrzehnten erfolgreich praktizieren.

Telecran: Eine weitere große Herausforderung ist das Thema Kryptowährungen. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr für Luxemburgs Finanzplatz ein?

Yuriko Backes: Luxemburg hat von Anfang an einen proaktiven, aber vorsichtigen Ansatzgegenüber dem Thema Kryptowährungen gewählt. Diese aufstrebende Anlageklasse bietet neue Chancen, auch für Luxemburg als Europas führendem Investmentfondszentrum, wirft aber auch viele Fragen auf, zum Beispiel aus Sicht des Anlegerschutzes. Die Aufsichtsbehörde CSSF hat kürzlich einen Leitfaden zu virtuellen Vermögenswerten für Investmentfondsund Kreditinstitute veröffentlicht, der vom Markt begrüßt wird. Die CSSF hat übrigens bereits 2014 offiziell Stellungbezogen und erklärt, dass Betreiber im Bereich der Kryptowährungen, die Finanzdienstleistungen anbieten, unter die bestehende Gesetzgebung fallen und die erforderlichen Lizenzen besitzen müssen. Die CSSF war auch die erste Regulierungsbehörde in Europa, die 2016 Zahlungslizenzen für Krypto-Börsen erteilte. Mit dem Vorschlag für eine Verordnung über Märkte für Kryptowerte wird die Europäische Union demnächst Kryptowährungen und deren Betreiber regulieren. Ein einheitliches EU-Regelwerk bietet neue Chancen für den Finanzplatz und insbesondere für die Fondsindustrie.

Telecran: Wo wird Luxemburgs Staatshaushalt in zehn Jahren stehen? Wie wird Luxemburg sich in einem Jahrzehnt finanzieren?

Yuriko Backes: In den Jahren 2018 und 2019 war dankkonsequenter Politik der Saldo – also der Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben – beim Zentralstaat zum ersten Mal seit 2008 positiv. Doch dann hatten wir in den vergangenen zwei Jahren pandemiebedingte Ausgaben in Höhe von 2,7 Milliarden Euro, durch die wir die Bürger und die Wirtschaft des Landes geschützt und unterstützt haben. Das hat geholfen. So konnten wir schon im ersten Semester 2021 auf das Niveau des Bruttoinlandsprodukts von vor der Krise zurückfinden. Derzeit ist die Entwicklung des Staatshaushaltes besser als erwartet, wie die letzten Quartalszahlen zeigen. Ende Dezember 2021 stiegen die Einnahmen um16 Prozent, während die Ausgaben im Vergleich zu 2020 stabil blieben. Deshalb wird in diesem Jahr das Defizitsicher geringer ausfallen als geplant. Der Statec geht von sieben Prozent Wirtschaftswachstum für 2021 aus und sieht die Entwicklung in diesem Jahr positiv, wenn auch verlangsamt und abhängig von der Pandemie. Diese Zahlen sprechen für sich – und für die umsichtige Politik der Regierung und meines Vorgängers, die ich fortsetzen werde. Ich bin daher sicher, dass Lu­xemburg auch in zehn Jahren gesunde Staatsfinanzen vorweisen kann, mit einem gerechten und wettbewerbs­fähigen Steuersystem, das es erlauben wird, weiter einen starken Sozialstaat zu finanzieren.

Telecran: Es gibt Überlegungen, die Steuertabelle an die Inflation anzupassen. Was halten Sie davon?

Yuriko Backes: Ich verschließe mich keiner Debatte, doch man sollte die Dinge in ihrem Zu­sammenhang sehen. Eine Steuererleichterung ist kein Selbstzweck. Ich schaue auf konkrete Ziele: wo nötig, die Kaufkraft stärken, Härtefälle abfedern, die Wirtschaft unterstützen. Neben einer generellen oder teilweisen Anpassung der Steuertabelle sind daher auch gezielte Maßnahmen vorstellbar, insbesondere im Bereich der Steuerkredite oder Freibeträge. In jedem Fall muss man darauf achten, dass die Einbußen für den Staat, der sich ja über Steuern finanziert, in einem vertretbaren Rahmen bleiben.

Telecran: Wie könnte so eine Anpassung aussehen?

Yuriko Backes: Steuern sind ein wichtiges Instrument, aber man kann nicht alles darüber regeln. Deshalb hat die Regierung zum Beispiel die Teuerungszulage Allocation de vie chère und den Revis erhöht, das Kindergeld indexiert und eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, um Arbeitssuchende und Kurzarbeiter zu unterstützen. Denn eine ausgewogene Sozial- und Familienpolitik sind ebenso wichtig, um die Schwächsten in der Gesellschaft zu unterstützen.

Telecran: Sie waren in einer sehr bewegten Zeit Hofmarschallin, haben mit der Maison du Grand-Duc einiges verändert und neu aufgebaut. Ist Ihnen der Weggang schwergefallen?

Yuriko Backes: Das Amt der Hofmarschallin war eine große Ehre, aber auch eine Herausforderung. Die Monarchie ist von großer Bedeutung für unser Land und deshalb war die Re-Organisation mit der Schaffung der Maison du Grand-Duc sowohl im Interesse des Staatschefs und der großherzoglichen Familie als auch im Interesse des Landes. Respektvor Tradition ist wichtig, und man kann sie mit Transparenz und Modernität vereinbaren. Gerne hätte ich noch eine Reihe von Entwicklungen bis zum Ende begleitet. Ich habe ein sehr gutes Team am großherzoglichen Hof hinterlassen, das eine fantastische Arbeit macht. Jetzt konzentriere ich mich auf die Herausforderungen als Mitglied der Regierung.

Telecran: Erste Frau an der Spitze der Vertretung der EU-Kommission in Luxemburg, erste Hofmarschallin, nun die erste Finanzministerin. Welche Premiere wird folgen? Erste Premierministerin Luxemburgs?

Yuriko Backes: Das habe ich absolut nicht auf der Agenda und es ist für mich auch kein Ziel. Dies umso mehr, als Luxemburg mit Xavier Bettel einen hervorragenden Premierminister hat, der dies hoffent­lich auch über 2023 hinaus bleiben wird.

Telecran: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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