Interview von Pierre Gramegna mit dem Handelsblatt

"Wir haben ein Ass"

 

Interview : Handelsblatt (Michael Brächer)

 

Handelsblatt: Herr Gramegna, Sie haben zu einer nüchternen Betrachtung des britischen EU-Austritts aufgerufen. Ist der Brexit gar nicht so schlimm, wie alle denken? 


Pierre Gramegna: Wir sollten die Debatte ins richtige Verhältnis setzen. Mit dem Brexit wird keine Guillotine fallen. Die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU bestehen weiter. In vielen Punkten vertreten das Vereinigte Königreich und die EU ähnliche Interessen. Für diese Themen gilt es, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten - und zwar hinter verschlossenen Türen, nicht in den Medien.


Handelsblatt: Machen Sie es sich da nicht etwas einfach? Ihr Amtskollege Wolfgang Schäuble sagt, dass es kein Gratismittagessen in Europa gibt: Wenn die Briten austreten, muss das doch Konsequenzen haben! 


Pierre Gramegna: In diesem Punkt sind sich die verbleibenden 27 EU-Mitglieder einig. Aber das heißt nicht, dass wir keine Geschäfte mit Großbritannien mehr abwickeln können. Zwischen Weiß und Schwarz gibt es viele Grautöne. 


Handelsblatt: Trotzdem: Wenn Banken und Versicherer aus London weiter Geschäft in der EU machen wollen, brauchen sie Strukturen auf dem Kontinent. In Frankfurt sieht man sich im Rennen um die Brexit-Flüchtlinge als Spitzenreiter. Und Sie? 


Pierre Gramegna: Ich sehe das nicht als Rennen. Verschiedene Finanzplätze auf dem Kontinent haben verschiedene Stärken und Schwächen. Unsere Spezialität in Luxemburg sind Versicherungen und das Fondsgeschäft sowie das Privatkundengeschäft für Reiche. In diesen Bereichen haben wir es bereits geschafft, viele Firmen anzuziehen. 

Handelsblatt: Und Frankfurt?

 
Pierre Gramegna: Frankfurt hat andere Stärken und konnte etwa viele Geschäftsbanken begeistern. Es wird nicht einen Gewinner geben, sondern viele. Meine Sorge ist eine andere: Wir müssen die Brücke nach Großbritannien erhalten, auch wenn sie vielleicht schmaler wird. Die Kooperation mit London liegt im europäischen Interesse. Sonst wird sich der Finanzplatz ganz nach Amerika orientieren. 

Handelsblatt: Zurück zu Luxemburg: Wieviele Mitarbeiter müssen Finanzfirmen denn mitbringen, die sich für das Großherzogtum entscheiden? 

Pierre Gramegna: Da gibt es klare Regeln. Wer zu uns kommen will, muss Substanz mitbringen. Die Mitarbeiter müssen auch Entscheidungsmacht haben. Luxemburg ist nicht mehr das Land der Briefkastenfirmen. 

Handelsblatt: Wegen des Brexits wird derzeit ein neues Zuhause für die Europäische Bankenaufsicht (Eba) gesucht. Frankfurt macht sich große Hoffnungen - Luxemburg auch.


Pierre Gramegna: Das stimmt. Aber die Standortfrage ist längst nicht entschieden. Und wir haben, neben der Tatsache, dass wir das Gebäude mietfrei zur Verfügung stellen, ein weiteres Ass im Ärmel. 

Handelsblatt: Welches denn?


Pierre Gramegna: Der Vertrag von Brüssel aus dem Jahr 1965 regelt, dass Institutionen, die sich mit Finanzfragen befassen, in Luxemburg beheimatet sein sollten.

 

Handelsblatt: Seitdem ist viel passiert. Würden Sie dieses Recht einklagen? 

Pierre Gramegna: Wir werden die Debatte erst einmal verfolgen. Aber damals haben die Gemeinschaftsmitglieder lange debattiert, um sich auf diese Lösung zu verständigen. Da können wir doch jetzt nicht so tun, als gäbe es diesen Beschluss nicht! 


Handelsblatt: Ein Thema, bei dem die Interessen in Europa auseinanderzugehen scheinen, ist die gemeinsame Einlagensicherung. Für viele Deutsche ist das Thema ein rotes Tuch. Sie wollen nicht, dass mit ihrem Geld ausländische Sparer gerettet werden. 


Pierre Gramegna: Ich glaube, dass die Positionen in der Sache gar nicht so weit auseinanderliegen. Wir sind uns einig, dass wir eine europäische Einlagensicherung brauchen. Aber Länder wie Deutschland oder Luxemburg weisen zu Recht darauf hin, dass das nicht von heute auf morgen geschehen kann. In vielen Mitgliedstaaten gibt es noch immer große Risiken im Finanzsystem. Diese Risiken müssen erst reduziert werden, bevor die Einlagen auf europäischer Ebene garantiert werden. 


Handelsblatt: Lassen Sie uns über das Thema Steuergestaltung sprechen. Die EU-Kommission plant, Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfer stärker in die Pflicht zu nehmen, um die Steuerflucht zu unterbinden.


Pierre Gramegna: Aber nicht, weil es Probleme mit Luxemburg gibt! Der Vorschlag der Kommission zielt auf ein generelles Problem ab. 

Handelsblatt: Aber aus den sogenannten Lux-Leaks wissen wir, dass Hunderte von Firmen in Luxemburg mit Hilfe von Beratern für sie günstige Steuermodelle umgesetzt haben - mit dem Segen der luxemburgischen Behörden.


Pierre Gramegna: Sie reden von der Vergangenheit. Ja, es gab solche Steuerentscheidungen, wie auch in allen-anderen EU-Ländern. Daraufhin haben wir in der EU beschlossen, dass wir diese Entscheidungen untereinander austauschen -übrigens geschah das unter der luxemburgischen Präsidentschaft. Es gibt also Transparenz und gemeinsame Regeln.


Handelsblatt: Und was halten Sie davon, diese Regeln zu verschärfen und Berater in die Pflicht zu nehmen? 


Pierre Gramegna: Wir haben den Entwurf für die Richtlinie gerade erst erhalten. Aber die Kommission schlägt darin beispielsweise vor, dass einem Berater nur fünf Tage bleiben, um der Behörde eine verdächtige Steuergestaltung zu melden. Das ist in der Kürze der Zeit doch überhaupt nicht zu leisten! Und das ist nur ein Problem. 

Handelsblatt: Welche Probleme sehen Sie noch?


Pierre Gramegna: Ich fürchte, dass wir damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas schwächen. So eine Richtlinie werden Schweizer oder Amerikaner ganz sicher nicht kopieren. Also werden viele Unternehmen ihre Beratungsdienstleistungen aus der EU auslagern. Noch geht es ja nur um einen Vorschlag, und wir werden unsere Meinung einbringen. Aber wir müssen uns die Frage stellen, ob wir nicht über das Ziel hinausschießen.

 
Handelsblatt: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch. 

 

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