Interview von Pierre Gramegna mit dem Tageblatt

"Gerechteste Steuerreform, die je gemacht wurde"

Interview: Tageblatt (Claude Clemens)

Tageblatt: Zahlen sollen bekanntlich nicht lügen, Wieso gibt es trotzdem jährlich unterschiedlichste und total gegensätzliche Lesarten des Staatshaushalts?

Pierre Gramegna: Seit Jahren werden die Wachstumszahlen in Frage gestellt. Die Regierung hat sich hier eine einfache Linie, gegeben: Wir nehmen die Zahlen so, wie das Statec sie liefert. Das nationale Statistikamt ist in Luxemburg unabhängig, auch auf EU -Ebene. Das griechische Statistikamt war nicht unabhängig; zu was das führen kann, hat man gesehen. Klammer zu. Dazu kommt: In den letzten Jahren wurden Wachstumszahlen oft nach oben korrigiert. Woran sich also die Geister scheiden, ist die Voraussage, die sich aus den Zahlen ergibt. Es gibt halt Optimisten und Pessimisten. Die Wirtschaftslehre ist keine "science exacte". Ein Krieg oder eine anders geartete Krise reicht, um alle Prognosen über den Haufen zu werfen. Zu dem Thema möchte ich außerdem anfügen: Wenn man sonst keine Kritikpunkte findet, hat man die Tendenz, auf den Wachstumszahlen herumzureiten. Obwohl das nicht viel bringt. Besser wäre, sich mit Zweck und Zielen eines Staatshaushalts auseinanderzusetzen.

Tageblatt: Trotz aller Zahlen scheint auch Finanzpolitik nicht gerade eben eine "science exacte" zu sein: Regelmäßig werden staatliche Einnahmen unterschätzt und dann gibt es im Laufe des Budget -Jahres freudige Nachrichten von Mehreinnahmen, so wie auch 2016 passiert. Wie ist das zu erklären?

Pierre Gramegna: Das ist faktuell nicht richtig. 2014 und 2015 gab es für die Einnahmen praktisch Punktlandungen, die Abweichung war 2015 sehr gering und 2014 sogar weniger als 1%. Also das genaue Gegenteil einer Unterschätzung. Die besseren Resultate 2014 und 2015 gingen v.a. auf stärkere Rückgänge bei den Ausgaben zurück. Auch 2016 werden wir bei den Einnahmen wohl wieder ganz nah an den Voraussagen liegen und eine Punktlandung hinlegen. Das bringt mich persönlich zur Feststellung, dass wir in den letzten zwei Jahren gut gewirtschaftet haben. Es ist eben so, dass man Ausgaben nicht bis auf den letzten Euro genau planen kann und dass es innerhalb der Einnahmen zu starken Schwankungen kommen kann. Die "TVA électronique" war z.B. eine große Unsicherheit und eine große Unbekannte. Klar war: 2015 und 2016 würden nur noch 30% der vorherigen Einnahmen bleiben; 2017 und 2018 nur noch 15% und 2019 schließlich 0%. Nur: wie lange bleiben Unternehmen noch hier, wann wandern sie ab? Das konnte man nicht voraussehen. Es war halt so, dass 2015 noch viele blieben, sich der Abgang 2016 aber beschleunigte.

Tageblatt: Das Defizit des Zentralstaats erklären Sie mit hohen Investitionen, andere mit den Auswirkungen der Steuerreform. Liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte?

Pierre Gramegna: Das Defizit ist die bewusste Entscheidung dieser Regierung. Weil wir es geschafft haben, 2014, 2015 und 2016 ins budgetäre Gleichgewicht zu kommen. Das war die Periode der Sanierung der Staatsfinanzen. Wir haben in diesem Zeitraum auch keine Anleihe gemacht; außer dem Sukkuk, der nötig war zur Diversifizierung des Standorts. Trotzdem waren auch in diesen drei Jahren die Investitionen bereits hoch. Für 2017 stehen wir also nun mit einer neuen Ausgangslage da. Die Maßnahmen greifen. Wir haben Spielraum für die Steuerreform und steigern die Investitionsausgaben weiter. Wiederum eine bewusste Entscheidung der Regierung. Beides zusammen erklärt das Defizit. In einem Satz: Wir hätten 2017 mit 0 Defizit dastehen können. Ohne Steuerreform und mit 500 Millionen Euro an Investitionen weniger. Letztere brauchen wir aber, um die Lebensqualität zu erhöhen, in Mobilität zu investieren, Schulen zu bauen etc. Die Steuerreform brauchen wir, um die Kaufkraft zu erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten. 

Tageblatt: Stichwort Investitionen: Müsste/ könnte in Zeiten von absoluten Niedrigzinsen nicht sogar noch mehr investiert werden? Via extrem "günstige" Anleihen?

Pierre Gramegna: Wegen der niedrigen Zinsen ist es eine gute Periode, um Schulden aufzunehmen. Wir schließen das in den nächsten Monaten nicht aus. In den letzten drei Jahren investierten wir rund 6 Milliarden Euro. 2017 werden noch einmal 2,4 Milliarden hinzukommen. Das wären zusammen 8,4 Milliarden Euro. Wenn wir diese Summe zu einem Viertel mit Anleihen finanzieren würden, wäre das eine gesunde Methode. Bisher hat diese Regierung noch keine Investition über neue Anleihen finanziert. Privatleute sollen in der Regel ein Viertel oder ein Drittel Eigenkapital für eine Kreditaufnahme vorweisen können. Würde der Staat also lediglich ein Viertel über Anleihen finanzieren, wäre das ein sehr gutes Verhältnis.

Tageblatt: Welche Summe ist denn im Budget 2017 für eine mögliche Anleihe vorgesehen?

Pierre Gramegna: Eine Milliarde. In den Jahren vorher waren stets 1 bis 1,5 Milliarden vorgesehen. Die wir nie in Anspruch genommen haben. Wir beobachten den Markt seit drei Jahren aber sehr, sehr genau. Über die Platzierung einer möglichen Anleihe wird nicht kommuniziert, das ist vertraulich. Auch aus Gründen, die der Markt erfordert.

Tageblatt: Kommen wir zur Steuerreform: Der CNFP ("Conseil national des finances publiques") wies bereits in seinem Gutachten 2015 darauf hin, die Steuerreform müsse seiner Meinung nach kostenneutral sein, um die Staatsfinanzen nicht zu belasten. Am Montag im Gutachten 2016 monierte das Gremium eine "Verschlechterung" der finanziellen Lage des Staat u.a. durch die Auswirkungen der Steuerreform. Auch würde sich der Staat durch diese Reform finanziellen Spielraums berauben. Was entgegnen Sie dieser Kritik? 

Pierre Gramegna: Wir haben die Finanzen saniert, also haben wir auch Spielraum für die Reform. Die EU -Kommission sagt, das Budget wäre in allen Punkten regelkonform. Das trifft insgesamt nur auf vier EU -Staaten zu! Der CNFP entstand vor zwei Jahren aufgrund des EU -Regelwerks. Ich würde mir erwarten, dass sein Gutachten deshalb vor allem die Einhaltung der EU -Regeln prüft. Wir führen in Luxemburg zurzeit eine Debatte, ob man sich als Staat überhaupt noch verschulden dürfe. Das gab es schon immer, überall auf der Welt! Unser Ziel ist, eine Verschuldung von maximal 30% des BIP immer zu unterbieten. Die EU -Regel ist 60%, wir setzen uns also selbst ein doppelt so strenges Ziel. Im Vergleich zu dem, was wir "geerbt" haben, geht der Prozentsatz derzeit sogar nach unten. 2017 wird er wieder leicht nach oben gehen, aber immer noch sehr deutlich unter dem 30% -Ziel bleiben. Die Planungen für die kommen Jahre sehen vor, dass dieser Prozentsatz leicht steigen wird. Es ist aber eine "flache" Progression. Die prognostizierten Defizite sind als Schuldenaufnahme verbucht. Wenn wir weiter gut haushalten, die Ausgaben im Griff behalten, und diese Schulden deshalb dann nicht aufnehmen müssen, dann wird sich die Situation zudem besser darstellen als aktuell ausgewiesen.

Tageblatt: Ebenfalls oft kritisiert in puncto Steuerreform: Noch mehr soziale Gerechtigkeit wäre möglich gewesen. Ihre Gegenargumente hier?

Pierre Gramegna: Man muss zunächst anerkennen: Es ist die gerechteste Steuerreform, die je gemacht wurde. Wenn man sozial selektiv vorgeht, sagen die Privatpersonen, es müsste noch sozialer sein. Setzt man die Betriebsseuer runter, sagen die Unternehmen, man müsste sie noch mehr senken. Für beide Bereich gilt: Die Maßnahmen erfolgen im Rahmen dessen, was das Volumen des Budgets hergibt. Grob zusammengefasst, kommen zwei Drittel der Erleichterungen den Privatpersonen zugute und ein Drittel den Unternehmen. 

Tageblatt:  In den Dokumenten auf der Internetseite der Steuerreform ist auch die Grafik "Evolution IRC" zu finden, die zeigt, dass die Körperschaftssteuer von 40% im Jahr 1986 auf eben 18% im Jahr 2018 herunterging bzw. geht. Ist es da nicht zu verstehen, dass sich "Otto Normalsteuerzahler" aufregt? 

Pierre Gramegna: Da muss ich als Erstes darauf hinweisen, dass damals aber auch der Höchstsatz für Privatpersonen nahe 60% lag, also 20 Prozentpunkte mehr als jetzt. Auf lange Sicht sind also in Luxemburg die Steuern für Unternehmen und Privatpersonen nach unten gegangen, den Trend zu weniger Steuern gibt es, übrigens nicht nur in Luxemburg, schon länger. Das ist gut für die Mensphen und gut für die Wettbewerbsfähigkeit. Und in dieser Steuerreform treffen wir eben nicht nur "mechanische" Regelungen, sondern auch sozial selektive. Alle "credits d'impöt" wurden in den unteren Lohnkategorien verdoppelt, um dann progressiv nach unten zu gehen. Am oberen Ende der Tabelle wurden zudem zwei Stufen hinzugefügt. 

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