Interview de Pierre Gramegna avec la Handelszeitung

"Die Aufsichtsbehörde sieht die Finanzakteure nicht nur als Opfer oder als zu Kontrollierende, sondern auch als Kunden"

Interview: Handelszeitung (Stefan Barmettler)

Handelszeitung: Wie fühlt man sich im Feindesland?

Pierre Gramegna: Feindesland? Im Gegenteil, ich fühl mich sehr wohl in Zürich.

Handelszeitung: Luxemburg ist ein harter Konkurrent zum Schweizer Finanzplatz, richtig?

Pierre Gramegna: Wir sehen uns zuvorderst als Partner der Schweiz. Nur wenn ich mich sehr anstrenge, finde ich ein paar Beispiele, wo wir Konkurrenten sind (lacht).

Handelszeitung: Luxemburg ist im Fondsgeschäft in Europa die Nummer eins. Nun wollen Sie auch im Private Banking das Feld aufrollen - in der Domäne der Schweizer?

Pierre Gramegna: Unser Finanzplatz steht auf diversen Pfeilern - wie jener der Schweiz. Im Private Banking sind wir vielleicht in gewissen Gebieten Konkurrenten, bei anderen sind wir Partner, etwa beim Fondsgeschäft. Der Standort Luxemburg dient den Schweizern als Plattform, um im EU-Binnenmarkt die eigenen Fondsprodukte zu verkaufen.

Handelszeitung: Luxemburg-Dienstleister der Schweizer?

Pierre Gramegna: Wir sind der ideale Standort, um Schweizer Akteuren - Banken und Versicherungen - den Zugang zum Markt Europa zu gewährleisten. Ich müsste mich aber dagegen wehren, wenn man uns nur als Türöffner sähe. Bei uns sind neben Schweizer Banken ja auch viele Finanzinstitute aus der EU vertreten. Mit anderen Worten: Auch wenn die Schweizer vollen Zugang zum EU-Raum hätten, wäre es für ihre Banken oder Versicherungen lohnenswert, auch in Luxemburg präsent zu sein.

Handelszeitung: Sie geben Gas im Private Banking, Sie wollen sich als Kunsthandelszentrum etablieren, dann wollen Sie zur Plattform des chinesischen Renminbi werden. Man hat den Eindruck, Ihre Strategie heisse: Copyandpaste vom Schweizer Modell.

Pierre Gramegna: Sie haben eine originelle Art, Fragen zu stellen. Hier muss ich Ihnen vehement widersprechen. Die erste chinesische Bank hat bereits 1979 ihre Türen in Luxemburg geöffnet. Mittlerweile sind die sechs grössten chinesischen Banken bei uns präsent. In der Schweiz wurde die erste Bank aus China, die Bank of China, an die Privatbank Julius Bär verkauft; die momentan einzige Bank aus China, die China Construction Bank, ist eben in Zürich gestartet.

Handelszeitung: Und bezüglich des Renminbi-Hubs, den die Schweiz auch werden will?

Pierre Gramegna: Auch da haben wir eine lange Tradition. Wir bieten schon lange Anlagen, Anleihen und Fonds in Renminbi. Bei den Börsen-Listmgs in Renminbi sind wir übrigens Leader in Europa. Punkt. Gleichzeitig will ich nicht leugnen, dass die Schweiz in anderen Bereichen - Private Banking oder Rohstoffhandel - ein globaler Leader ist.

Handelszeitung: Wäre es nicht sinnvoll, wenn sich die Schweiz mit Luxemburg gegen die Regulierungswut der USA und der EU stemmte?

Pierre Gramegna: Die EU war ab 2004 ein Vorreiter in der Regulierung der Finanzplätze. Man hatte das Konzept der Zinsrichtlinien und man hatte - quasi als Zukunftsmodell - den automatischen Informationsaustausch (AIA). Luxemburg, Belgien und Österreich haben ein Alternativmodell zum AIA postuliert, die Quellensteuer. Für uns war klar: Eine Quellensteuer ist viel effizienter. Man braucht das Bankgeheimnis nicht aufzugeben, weil die Gelder ja versteuert sind.

Handelszeitung: Und dann ist Luxemburg - zum Schrecken der Schweiz - plötzlich eingeknickt und hat für den AIA plädiert und gegen die Quellensteuer.

Pierre Gramegna: Eingeknickt ist das falsche Wort. Es gab ab 2008 eine Finanzkrise, dann kamen die Amerikaner mit FATCA, dann haben die USA die Bekämpfung des Terrorismus höher gewichtet als jede Privatsphäre im Banking. Das alles hat das Bankgeheimnis unheimlich unter Druck gesetzt. Dann haben wir uns im Stil der Engländer gesagt: If you can't beat the club, join the club. Wenn es international in Richtung Transparenz und AIA geht, ist es besser, wir spielen mit und lassen unsere Interessen einfliessen.

Handelszeitung: Haben Sie gedacht, dass der Paradigmenwechsel - weg vom Bankgeheimnis, hin zum AIA - so schnell gehen würde?

Pierre Gramegna: Nein, das hat keiner gedacht. Es ging ja nicht nur beim Bankgeheimnis unheimlich schnell. Auch beim Thema BEPS kam viel Tempo rein.

Handelszeitung: Mit der BEPS-Regulierung soll das internationale Steuer -Shopping von Apple oder Google eingedämmt werden.

Pierre Gramegna:  Als die G2O und die OECD die BEPS-Initiative ergriffen, war innerhalb von drei Jahren auch dieses Thema geregelt. Ich war im Oktober 2015 am Gipfel der G2O -Industrieländer in Lima, als die Resultate der BEPS-Verhandlungen vorgestellt wurden. Allerspätestens dort musste man zur Kenntnis nehmen: Wenn die Grossen dieser Welt sich einig sind und etwas möglichst schnell durchsetzen wollen, darf man nicht glauben, man könne den Trend umkehren. Deshalb muss man im Entscheidungsprozess mitspielen und seine Interessen vertreten.

Handelszeitung:  Finden Sie den AIA persönlich gut?

Pierre Gramegna: Er ist nur möglich, weil wir heute die entsprechende Informationstechnologie haben. Vor 10, 20 Jahren war die Quellensteuer die bessere Lösung. Heute ist der AIA im Private Banking sinnvoll, auch weil er zum internationalen Standard wird. Ein Punkt ist mir wichtig: Man sollte nicht den Fehler machen, die Finanzplätze Schweiz oder Luxemburg nur auf Fragen rund um den AIA zu reduzieren. Wir haben noch ganz andere Vorzüge zu bieten.

Handelszeitung: Gerade im Fondsgeschäft sind Sie mit einem Volumen von 3,5 Billionen Euro der Schweiz um Längen voraus. Vor 15 Jahren lag der Wert noch unter einer Billion. Was haben Sie besser gemacht als wir?

Pierre Gramegna: Meine Antwort wird Ihnen nicht gefallen: Wir sind eben Mitglied der EU (lacht). Damit sind wir in einem Binnenmarkt mit 500 Millionen Konsumenten integriert. Und zweitens haben wir in der EU ein Instrument geschaffen, das im ganzen EU-Raum funktioniert - die UCITS-Regulierung. Damit haben wir europaweit einheitliche Regeln für Fonds. Sind sie in einem Land zugelassen, gilt dies auch in den anderen EU-Ländern. Damit profitieren diese Fonds vom grenzüberschreitenden Vertrieb im gesamten Binnenmarkt. Die ersten UCITS-regulierten Fonds entstanden übrigens in den 1980er-Jahren, als der Binnenmarkt aufgesetzt wurde. Nun sind wir bereits bei UCITS V.

Handelszeitung: Mit der UCITS-Regulierung haben Sie einen Erfolg kreiert. Nun ist Luxemburg mit der Alternative -Investment -Fund -Manager -Richtlinie (AI FM) daran, Hedgefonds, Immobilienfonds und Private-Equity-Fonds zu regulieren. Werden Sie damit wieder punkten?

Pierre Gramegna: Absolut, genau das wollen wir wieder tun. Die AIFM-Richtlinie ist 2013 in Kraft getreten. Heute sind bereits über 200 alternative Investmentfonds aus Luxemburg akzeptiert und über 800 Fonds sind registriert. Mittlerweile sind in Luxemburg also 1000 AIFM-Fonds domiziliert. Das wird dieselbe Erfolgsstory wie bei den UCITS-Fonds.

Handelszeitung: In Luxemburg wird am gleichen Strick gezogen, um die Konkurrenzfähigkeit zu stärken. In der Schweiz dagegen schiessen alle aufeinander - Banken, Finanzaufsicht, Nationalbank, Politik, Medien.

Pierre Gramegna: Das haben wir von Schweizer Kollegen auch gehört (lacht). Es ist richtig, was unseren Stil angeht: Luxemburg for Finance, die Agentur zur Förderung des Finanzplatzes, ist ein gemeinsames Projekt von Privatwirtschaft und Regierung. Wir sind ein kleines Land und stehen deshalb unter dem Druck, besser als die Nachbarn zu sein - sonst haben wir keine Chance. Das war bereits früher so: Unsere Stahlindustrie war schon vor 100 Jahren effizienter als die Konkurrenz - eben weil wir keinen Binnenmarkt hatten und auf den Weltmärkten bestehen mussten.

Handelszeitung: Böse Zungen reden von Luxemburger Filz.

Pierre Gramegna: Dieser Vorwurf wird ab und zu erhoben, aber er ist unberechtigt. Gegenfrage: Wie viele Leute sind bei der Finanzmarktaufsicht Finma angestellt?

Handelszeitung: 450.

Pierre Gramegna: Mir wurde gesagt, es seien sogar 510 Leute. Bei der Aufsicht in Luxemburg sind es rund 650, alle unabhängig vom Finanzminister. Was uns vielleicht von anderen unterscheidet, ist der Ansatz: Die Aufsichtsbehörde sieht die Finanzakteure nicht nur als Opfer oder als zu Kontrollierende, sondern auch als Kunden.

Handelszeitung: Ihre ideale Welt: Die Briten treten aus der EU aus, richtig?

Pierre Gramegna: Nein, das wäre das Gegenteil von ideal.

Handelszeitung: Mit dem Austritt Grossbritanniens würde der Finanzplatz Luxemburg in der EU aufgewertet.

Pierre Gramegna: Eine sehr kurzfristige Analyse. Es kann nicht im Interesse eines EU-Mitglieds sein, dass man nach einem Austritt Grossbritanniens als Finanzplatz profitieren und weitere Banken anziehen könnte. London ist der grösste Finanzplatz Europas, nach New York der grösste der Welt. Wir sollten also stolz sein und sehen, dass es in unserem Interesse ist, dass London in Europa bleibt. Wir brauchen die Finanzplätze London, Schweiz und Luxemburg, damit Europa global eine Rolle spielt. Wenn London nicht mehr dabei wäre, würden wir eine Trumpfkarte verlieren und einen Alliierten obendrein.

Handelszeitung: Die Schweiz will Kontingente einführen und die bilateralen Verträge retten. Dürfen wir in den Verhandlungen auf den Goodwill der Luxemburger zählen?

Pierre Gramegna: Wir sind in der EU und stehen zu den vier Grundfreiheiten - den Säulen unserer europäischen Verfassung. Man kann im Fall der Schweiz vielleicht Lösungen finden, aber man kann die Personenfreizügigkeit nicht komplett infrage stellen.

Handelszeitung: Wie wäre es mit der Einführung einer Schutzklausel?

Pierre Gramegna: Es existieren Schutzklauseln in der EU-Gesetzgebung. Es kann ja sein, dass man in Zukunft mit der Schweiz Wege und Formulierungen findet, die auf Spezialfälle Rücksicht nehmen. Aber mit der EU in Verhandlungen gehen zu wollen und zu verlangen, dass die Personenfreizügigkeit durch Kontingente abgelöst wird, ist in Brüssel sehr schwer vermittelbar.

Handelszeitung: Was würden Sie vorschlagen?

Pierre Gramegna: Die Schweiz ist das Land, das die meisten Verträge mit der EU abgeschlossen hat. Hier reden wir von Hunderten von Verträgen. Das zeigt, wie verbunden die Schweiz mit der EU ist. Wenn die Interessen beider Seiten also derart gross sind, findet man immer einen Weg. Man sollte allerdings vermeiden, gerade einen Pfeiler der EU - die Personenfreizügigkeit - komplett infrage zu stellen.

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