Pierre Gramegna au sujet des révélations "Luxleaks"

"Wir meinen unseren Wandel ernst"

Interview: Donata Riedel (Handelsblatt)

Handelsblatt: Herr Minister, seit voriger Woche sind Daten auf dem Markt, die belegen, dass Luxemburg internationalen Konzernen ein besonders günstiges Umfeld zum Steuersparen bietet. Was haben Sie als Erstes gemacht, als sie davon erfahren haben?

Pierre Gramegna: Ich habe Mittwochnacht über mein iPhone von den Berichten erfahren, als ich eigentlich schon schlafen gehen wollte, und dann gleich am Donnerstagfrüh den Premierminister angerufen. Der sagte:"Wir schaffen das." Japanisch ausgedrückt: Ich fühle mich sehr wohl. 

Handelsblatt: Sind die Vorwürfe denn aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Pierre Gramegna: Ich kann mich eigentlich nur wundern, dass sich die Kritik an Steueroptimierung so sehr auf Luxemburg konzentriert. Es handelt sich keineswegs um geheime Vorgänge, sondern um eine in vielen europäischen Ländern übliche Praxis.

Handelsblatt: Der Vorwurf lautet, dass Ihre Steuerbehörden einzelnen Konzernen für die internationale Steueroptimierung mit sogenannten "Rulings" offiziell grünes Licht gegeben haben.

Pierre Gramegna: In vielen Ländern ist es üblich, dass Konzerne auf Anfrage von den Finanzämtern ihre Steuergestaltung vorab genehmigen lassen. Ein Ruling ist eine einseitige Entscheidung der Steuerverwaltung, die einem Unternehmen bestätigt, welche Gesetze zur Anwendung kommen. In Deutschland heißt das Vorabentscheidung. Sie wird nur nicht so häufig wie in Luxemburg angewendet.

Handelsblatt: Sind solche Rulings geheim?

Pierre Gramegna: Sie sind, wie alle Steuererklärungen, nicht öffentlich zugänglich, aber das heißt nicht, dass sie nicht mit den Steuerbehörden anderer Länder, etwa des Heimatlandes, geteilt werden können. Wenn Unternehmen im Zusammenspiel von nationalem und internationalem Recht keine Steuern zahlen, ist das legal. Eine andere Frage ist, ob es ethisch vertretbar ist.

Handelsblatt: Und? Ist diese Praxis ethischvertretbar?

Pierre Gramegna: Vor 18 Monaten hat der frühere Premierminister Jean-Claude Juncker angekündigt, dass wir uns am Automatischen Informationsaustausch im Rahmen der EU -Zinsrichtlinie beteiligen werden. Und auch beim BEPS-Projekt gegen legale Gewinnverlagerung und Steueroptimierung von Konzernen sind wir von Anfang an dabei. Als Folge der Finanzkrise ist uns bewusst geworden, dass die Bürger es nicht mehr verstehen, dass sie Steuern zahlen müssen, während Konzerne ihre Steuern bis auf null drücken können.

Handelsblatt: Wie schnell wird Luxemburg die Wende vollziehen?

Pierre Gramegna: Wir haben gerade im Parlament das Bankgeheimnis abgeschafft, und wir werden uns für Zinsen ab dem 1. Januar 2015 am Automatischen Informationsaustausch in der EU beteiligen. Wir gehören auch zu den Erstunterzeichnern der Berliner Erklärung und werden für andere Kapitalerträge ab 2017 den automatischen Datenaustausch nach den OECD-Regeln einführen. Wir haben immer gesagt, dass solche Regeln nur international vertretbar sind: Deutschland lebt vom Güterexport, Luxemburg vom Export von Finanzdienstleistungen.

Handelsblatt: Und wann fallen die Rulings?

Pierre Gramegna: Ich finde, die Rulings müssen auch ein Thema für die BEPS-Verhandlungen sein. Dort wird ja die Unternehmensteuer -Praxis der Industrie- und Schwellenländer durchleuchtet. Man könnte dort auch die Rulings analysieren und gemeinsame Regeln dafür aufstellen. Man muss da schauen, welche Ruling-Praxis wettbewerbsverzerrend ist, und dann muss man sich mit allen beteiligten Ländern einigen, was künftig akzeptabel ist - wie bei allen anderen Punkten der BEPS-Initiative. Wir sind dazu bereit.

Handelsblatt: Es gibt in den BEPS-Regeln die Vorschrift, dass Unternehmen die Doppelbesteuerungsabkommen zwischen zwei Ländern nicht über Drittstaaten ausnutzen dürfen. Hat man da die Rulings nicht großenteils miterfasst?

Pierre Gramegna: Das wäre eine Möglichkeit. In Europa haben wir ja außerdem eine EU -Richtlinie angenommen, die hybride Gestaltungen verhindern wird. Im Dezember wird dort ein Zusatz vereinbart werden, dass man den Missbrauch internationaler Regeln nicht mehr zulassen will. Ich habe schon für Luxemburg gesagt, dass wir zustimmen werden.

Handelsblatt: Heute haben viele multinationale Konzerne eine Finanzierungsgesellschaft in Luxemburg. Diese vergibt Kredite an ihre Töchter, etwa in Deutschland. Von dort fließt dann der Gewinn in Form von Zinsen nach Luxemburg, um Steuern zu sparen. Werden Sie den Rahmen für solche Konstrukte ändern?

Pierre Gramegna: Ja, genau das sind ja hybride Gestaltungen. Die sind heute noch legal, aber sie werden mit der EU -Direktive, die noch in diesem Jahr in Brüssel verabschiedet werden soll, nicht mehr möglich sein. Gut, dass wir so präzise darüber sprechen. Luxemburg wird die Direktive umsetzen, und zwar schnell.

Handelsblatt: Wird das den Finanzplatz Luxemburg nicht schädigen? Aus Sicht der Unternehmen ist das ja eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo.

Pierre Gramegna: Ja, aber diese Gestaltungen sind dann in der ganzen EU nicht mehr möglich. Und dann haben wir ein Level-Playing-Field wenigstens auf EU -Ebene. Wir sind dann alle auf dem gleichen Stand. Also mache ich mir da keine übermäßigen Sorgen, dass uns das schaden könnte.

Handelsblatt: Wie sieht es denn heute eigentlich genau bei den Rulings aus: Können einzelne Unternehmen bei Ihnen Sonderrechte mit der Steuerbehörde ausverhandeln?

Pierre Gramegna: Nein, natürlich nicht. Man muss das Recht gleich anwenden für alle Unternehmen, die in der gleichen Lage sind. Wir sind ein Rechtsstaat!

Handelsblatt: Die EU-Kommission wirft ihnen ja genau dies vor, dass Luxemburg einzelnen Konzernen im Binnenmarkt einen Wettbewerbsvorteil verschafft habe.

Pierre Gramegna: Wir arbeiten mit der EU -Kommission zusammen, und dann werden wir sehen, was das Ergebnis sein wird. Ich kann dem nicht vorgreifen.

Handelsblatt: Wenn wir Sie richtig verstehen, vollzieht Ihre Regierung gerade eine 180-Grad-Wende. Das Großherzogtum Luxemburg war immer das Bremserland in der EU im Kampf gegen Steuergestaltungen. Und jetzt sollen wir glauben, dass Sie auf einmal bei allen neuen Regeln vorneweg dabei sind?

Pierre Gramegna: Ja, ganz bestimmt. Dass wir vorige Woche im Parlament die letzten Schritte vollzogen haben, das Bankgeheimnis abzuschaffen, ist doch der beste Beweis dafür, dass wir es ernst meinen. Wir ändern damit das Geschäftsmodell unserer Banken im Privatkundengeschäft. Und wir haben festgestellt, dass die Banken damit sogar gut zurechtkommen: Sie haben jetzt mehr größere Kunden aus Übersee, die Luxemburg zum Eintritt in die EU nutzen, und weniger Kleinkunden aus dem Grenzgebiet zu Deutschland und Frankreich. Unterm Strich gleicht sich das aus, und das zeigt, dass der Bankplatz Luxemburg auch ohne das Bankgeheimnis attraktiv sein kann.

Handelsblatt: Verfolgt Luxemburg gegenüber Privatkunden jetzt eine Weißgeldstrategie wie die Schweiz?

Pierre Gramegna: Wir sagen ganz klar: Schwarzgeld hat keinen Platz in Luxemburg. Es liegt nun bei den Banken, sich an die neue Lage anzupassen. 

Handelsblatt: Das heißt, Sie als Regierung kündigen nur an, dass Sie beim Automatischen Informationsaustausch mitmachen, und damit muss jeder Schwarzgeldkonto-Besitzer fürchten, dass er spätestens 2017 auffliegt... 

Pierre Gramegna: Im Grunde passiert das schon 2015, jedenfalls für Zinserträge. 2017 gilt das für alle Anlagen nach den Regeln der OECD. Ich gehe davon aus, dass die Informationen, die wir weitergeben, klar und umfassend sind. Nichts hindert aber die Behörden anderer Staaten, in Zweifelsfällen auch bei uns nachzufragen.

Handelsblatt: Was war eigentlich vor 18 Monaten der Auslöser, dass Sie aus Perspektive des deutschen Finanzministers vom Saulus zum Paulus wurden?

Pierre Gramegna: Da müssten Sie natürlich zuerst Herrn Juncker fragen (lacht). Zum einen war es die Finanz- und Wirtschaftskrise, die gezeigt hat, dass Unterregulierung zu Blasen führt und dass es für die Weltwirtschaft gefährlich ist, wenn sie platzen. Darum haben wir jetzt eine Regulierungswelle für die Finanzmärkte. Das Zweite ist, dass die USA mit ihrem Projekt Fatca durchgesetzt haben, dass die meisten anderen Staaten jetzt Daten über die Konten von US-Bürgern liefern müssen. Wir mussten also gegenüber den USA das Bankgeheimnis ohnehin aufgeben. Und drittens war es natürlich der Druck in Europa. Der Weg ging nicht mehr vorbei am Automatischen Informationsaustausch, weshalb die Regierung vor 18 Monaten die Wende vollzogen hat.

Handelsblatt: Glauben Sie, dass die aktuelle Debatte für Herrn Junker in seiner neuen Funktion als EU -Kommissionspräsident noch zum Problem werden wird? Der Druck dürfte ja auch unabhängigvom Ausgang des Beihilfeverfahrens enorm sein.

Pierre Gramegna: Ich glaube, dass unser voriger Premierminister durch sein Verhalten vor 18 Monaten gezeigt hat, dass er bereit ist, dem neuen internationalen Trend zu folgen. Ich finde, dass muss man ihm hoch anrechnen.

Handelsblatt: Herr Minister, vielen Dank für dieses Interview.

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