"Modell Quellensteuer hat keine Zukunft". Luc Frieden au sujet des grands centres de finance mondiaux

Mark Dittli: Herr Frieden, Luxemburgs Regierung hat kürzlich angekündigt, in der EU 2015 den automatischen Informationsaustausch zu übernehmen. Bisher hatten Sie stets das Quellensteuermodell verteidigt. Wieso jetzt dieser Umschwung?

Luc Frieden: Wir bleiben der Meinung, dass die Quellensteuer das bessere System ist. Zwei Elemente erklären den Umschwung: die Verhandlungen mit den USA über Fatca und das Scheitern des Abgeltungssteuerabkommens zwischen der Schweiz und Deutschland. Wir haben eingesehen, dass das Quellensteuermodell keine Zukunft mehr hat. Aber wir wollen nicht in eine Situation kommen, in der uns später etwas aufgedrängt wird. Wir bevorzugen es, Rechtssicherheit zu wahren und unsere Zukunft aktiv mitzugestalten. Also machen wir ab 2015 in der EU am Informationsaustausch zwischen den Steuerverwaltungen für Zinserträge von Privatpersonen mit. Unsere Ziele waren Rechtssicherheit, der internationalen Entwicklung Rechnung zu tragen und die Möglichkeit zu wahren, unsere Zukunft in den internationalen Foren zu gestalten.

Mark Dittli: Obwohl Sie die Quellensteuer für das effizientere und bessere Modell halten?

Luc Frieden: Ja. Das Quellensteuermodell ist nicht mehr realistisch.

Mark Dittli: Die Aussenminister der Schweiz und Deutschlands sollen neue Verhandlungsbereitschaft in dieser Sache signalisiert haben. Sehen Sie doch noch ein Fenster für das Modell Abgeltungssteuer?

Luc Frieden: Ich kann das nicht von aussen beurteilen. Es gibt immer Möglichkeiten, zwischen Staaten über etwas zu reden. Ich glaube aber, dass diese Diskussionen künftig grundsätzlich multilateral in der EU respektive der OECD geführt werden. Die Themen von Transparenz und Bekämpfung des Steuerbetrugs werden uns nicht zuletzt wegen der Haushaltskrise in vielen Ländern noch lange beschäftigen. Deshalb glaube ich, dass die Schweiz und auch Luxemburg sich in den nächsten Jahren sehr intensiv in die Diskussionen werden einbringen müssen.

Mark Dittli: Die offizielle Schweiz sagt immer noch, das Modell Abgeltungssteuer sei ihre Hauptstrategie. Was halten Sie davon?

Luc Dittli: Ich respektiere und mag die Schweiz sehr. Deshalb verstehe ich die Haltung gut. Es liegt am Schweizer Volk, selbst zu entscheiden, wie die Zukunft aussehen soll. Aber auch die Schweiz, als offene Volkswirtschaft, als Teil der Weltgemeinschaft, kann nicht abstrahieren und ignorieren, was in der OECD und in multinationalen Foren wie der G-20 diskutiert wird.

Mark Dittli: Die EU-Kommission könnte schon bald fordern, die Schweiz solle in der EU den AIA akzeptieren. Werden Sie sich dieser Forderung anschliessen?

Luc Frieden: Es ist nicht an Europa, der Schweiz etwas vorzuschreiben. Wir sollten uns an dem orientieren, was in der G-20 und der OECD diskutiert wird. Dort sitzt die Schweiz teilweise mit am Tisch. Wir werden nicht von aussen auf die Schweiz irgendwelchen Druck erzeugen. Das war immer kontraproduktiv in Luxemburg, das ist auch kontraproduktiv in der Schweiz. Wir wollen aber natürlich, dass weltweit in den grossen Finanzzentren die gleichen Regeln gelten. Diese Regeln müssen wir gemeinsam aushandeln.

Mark Dittli: Sie fordern global gleich lange Spiesse im Wettbewerb der Finanzplätze. Welches ist das geeignete Gremium, um diese Verhandlungen zu führen? Die OECD?

Luc Frieden: Aus unserer Sicht spielt die OECD eine Schlüsselrolle, weil es ein Gremium ist, in dem nicht nur EU-Staaten sitzen, sondern auch die USA und die Schweiz. Ich ziehe es vor, diese Diskussionen in Gremien zu führen, wo grosse Finanzplätze vertreten sind. In die Gespräche sollten aber auch Finanzplätze wie Singapur und Hongkong eingebunden werden - auch, um die Delokalisierung des Kapitals zu verhindern. Wir möchten Wettbewerb, fairen Wettbewerb, und wir müssen das in den Gesprächen mit diesen Staaten erreichen.

Mark Dittli: Wie bringen Sie innerhalb der EU und der OECD das Thema der anonymen Trusts nach britischem und US-Recht ein?

Luc Frieden: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Es darf nicht sein, dass einige sich zu Transparenzregeln bekennen, sie aber nicht anwenden. Daher wird das auch in der OECD und in der EU in Kürze ein Thema sein.

Mark Dittli: Werden Sie es persönlich einbringen?

Luc Frieden: Das wurde schon gemacht. Es ist Teil der Diskussionen in der EU über die Ausweitung der Zinsrichtlinie.

Mark Dittli: Grossbritannien nimmt innerhalb der EU teil an den Gesprächen, aber Kronbesitzungen wie Jersey oder die British Virgin Islands führen ein Eigenleben. Ist diese Ausnahme für Sie noch statthaft?

Luc Frieden: Das soll sicherlich nicht mehr in dieser Art und Weise möglich sein. Es ist an Grossbritannien, als Teil der G-20 und der EU, hier die volle Verantwortung zu tragen.

Mark Dittli: Mittelfristig wird der AIA also ein globaler Standard sein?

Luc Frieden: Davon bin ich überzeugt. Die Frage ist, für welche Produkte und für welche Gesellschaftsstrukturen und Personen. Dies muss verhandelt werden. Es ist aber auch wichtig, dass es ein Informationsaustausch zwischen Steuerverwaltungen sein muss. Das wiederum geht nur mit Staaten, in denen die Rechtsstaatlichkeit garantiert ist. Deshalb muss das bilateral vereinbart werden. Wir werden den AIA nicht mit der ganzen Welt einführen, sondern nur mit Staaten, mit denen wir bilaterale Abkommen schliessen. Zweitens bleibt der Schutz der Privatsphäre zentral: Die Vertraulichkeit der Daten wird in Luxemburg auch in Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen. AIA bedeutet nicht, dass diese Informationen der Öffentlichkeit preisgegeben werden, sondern nur von Steuerverwaltung zu Steuerverwaltung in Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit garantiert ist.

Mark Dittli: Wann wird der AIA globaler Standard?

Luc Frieden: Es ist unmöglich, das mit einem präzisen Datum festzulegen. Aber man darf nicht übersehen, dass am kürzlich in Washington abgehaltenen Treffen der G-20-Finanzminister ein internationaler Standard zum Informationsaustausch zum ersten Mal als Ziel festgelegt wurde. Das ist ein klares Zeichen, dass der Trend weiter in diese Richtung gehen wird.

Mark Dittli: Wo liegen die grössten Hürden?

Luc Frieden: In den Ländern, die heute den AIA noch nicht kennen. Die zweite Hürde liegt in der Präzisierung des Anwendungsbereichs.

Mark Dittli: In der Schweiz sagen einige Stimmen, dem AIA mit der EU könnte durchaus zugestimmt werden. Aber die Schweiz will Gegenleistungen: freien Marktzutritt und eine abschliessende Regelung für die Altlast der unversteuerten Gelder im Land. Sind das legitime Forderungen?

Luc Frieden: Ich kann diese Überlegungen sehr gut nachvollziehen. Sie sind Teil von ganz normalen Diskussionen, die zwischen Staaten stattfinden müssen. Ich kann mich nicht für andere festlegen, aber ich finde schon, dass diese Themen einer Diskussion zwischen Nachbarn bedürfen.

Mark Dittli: Welche Folgen wird der Schritt, den AIA einzuführen, für den Finanzplatz Luxemburg haben?

Luc Frieden: Kurzfristig wird es sicher einige Anpassungen nach sich ziehen. Aber ich glaube nicht, dass es sehr grosse Konsequenzen haben wird. Man darf ja nicht vergessen, dass heute schon eine Quellensteuer von 35% auf Zinserträgen erhoben wird. Das hatte zur Folge, dass in den letzten Jahren schon sehr viele kleine Konten geschlossen wurden. Deshalb glaube ich, dass sich kurzfristig sicherlich einige Banken anpassen müssen, aber längerfristig - und das ist unser Ziel - werden wir nicht aus einer Ecke heraus verhandeln, sondern als grosser globaler Finanzplatz internationale Kunden anziehen können.

Dernière mise à jour