"Alternativlos". Luc Frieden au sujet de la place financière du Luxembourg

forum: Erlauben Sie uns zu Beginn eine kurze statistische Zusammenstellung: Luxemburg bezieht 720 Millionen Euro an Mehrwertsteuern aus dem E-Commerce (die ab 2015 deutlich abnehmen werden), die Taxe d‘Abonnement bringt jährlich 600 Millionen ein (Einnahmen, die seit Beginn der Krise deutlich geschrumpft sind), 1,5 Milliarden bringen die Verbrauchs- und Mehrwertsteuern (droits d'accises und TVA) auf Benzin, Tabak und Alkohol (die der Staatsrat als "außerordentliche" und "nicht nachhaltige" Einnahmen beschreibt). Können Sie a als Finanzminister noch gut schlafen?

Luc Frieden: Luxemburg steht hier in der Tat vor größeren Herausforderungen. Wenn Steuern wegfallen, dann müssen sie einerseits durch andere Steuern ersetzt werden und andererseits müssen die Ausgaben gekürzt werden. Das bereitet mir keine schlaflosen Nächte, sondern es gibt mir Energie, zu versuchen, Lösungen zu finden. Wissend aber, dass ein Finanzminister nicht alleine entscheidet, sondern für alle seine Entscheidungen Mehrheiten benötigt. Wir müssen u. a. aufgrund der Punkte, die Sie erwähnt haben, eine Reihe substantieller Änderungen über die nächsten fünf Jahre vornehmen.

forum: Sie haben von anderen Steuern gesprochen, die diese Ausfälle ersetzen müssten. Drei Stichwörter fallen häufiger in der Debatte: Ihr Parteikollege Gilles Roth meinte kürzlich, der Immobilienbesitz müsse besser und gerechter besteuert werden. Die Besteuerung der Kapitalerträge ist auch ein Thema, so werden z. B. die Stockoptions heute mit 10% besteuert. Es ist auch die Rede davon, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Stellen diese Vorschläge für Sie Optionen dar?

Luc Frieden: Steuerpolitik macht man nicht mit individuellen Maßnahmen. Man muss das Gesamtbild im Auge behalten und eine kohärente Politik gestalten. Es gilt deshalb in der nächsten Legislaturperiode zu beraten, wie hoch wir jeweils Arbeit, Konsum und Vermögen besteuern wollen. Generell empfiehlt die Europäische Kommission, die Besteuerung der Arbeit nicht zu erhöhen, sondern eher den Konsum zu besteuern. Das ist sinnvoll, um ein arbeitsfreundliches Steuersystem zu erhalten und so Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir in der nächsten Legislaturperiode die Mehrwertsteuer erhöhen und an verschiedenen anderen Steuern Anpassungen vornehmen müssen. Ich weiß nicht, ob dies Immobilien betreffen sollte, weil wir damit Gefahr laufen, die Immobilienpreise in Luxemburg noch höher zu treiben.

forum: Die Mehrwertsteuer auf dem E-Commerce und die Verbrauchssteuern auf Benzin sind Steuern, die zum ganz großen Teil von Personen bezahlt werden, die nicht in Luxemburg wohnen. Heißt das, dass in Zukunft die Einwohner einen höheren Anteil zu den Steuereinnahmen beitragen müssen?

Luc Frieden: Das weiß ich nicht. Eine Alternative könnte schließlich auch sein, die Ausgaben zu senken. Steuerpolitik ist ein sehr komplizierter Bereich. Sie hat aus meiner Sicht zwei Hauptziele: Einerseits soziale Umverteilung, und somit Sozialpolitik, und andererseits öffentliche Dienstleistungen zu sichern. Also müssen wir uns fragen: Was wollen wir an Dienstleistungen? Und dann das dafür nötige Niveau an Steuern festlegen. Ich will aber auch kein Land, in dem die Menschen über die Hälfte des Jahres nur arbeiten, um Geld an den Staat zu zahlen. Im Übrigen wird auch in Zukunft ein Anteil an Steuern bleiben, die auf Grenzgänger oder auf Durchreisende erhoben werden, was einfach mit der Größe des Landes zusammenhängt - Benzin ist da ein gutes Beispiel.

forum: Die Steuerreform von 2001/2002 hat nach Schätzungen des Statec - zu Einbußen in den Steuereinnahmen in Höhe von etwa 3% des BIP geführt. Waren Sie damals als Budgetminister zu optimistisch?

Luc Frieden: Diese Maßnahme kann man nicht nur aus der heutigen Sicht bewerten. Der damalige Kontext war ein anderer. Wir befanden uns noch nicht in einer Wirtschaftskrise wie heute und damals gab es substantielle Mehreinnahmen gegenüber den Haushaltsplänen. Die Bürger haben gefordert, dass diese Mehreinnahmen unter den Steuerzahlern verteilt würden und der Staat hat diesen Forderungen nachgegeben. Wir haben mit dieser Steuersenkung aber auch die Wirtschaft angekurbelt, denn wenn die Menschen netto mehr haben, dann steigt ihr Konsum. Generell gilt in der Steuerpolitik, dass man die Entwicklung in den Nachbarländern beachten muss. Wenn dort eine Tendenz zur Senkung der Steuern besteht, dann muss man dieser auch folgen, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Luxemburg zu erhalten.

forum: Vor allem die Einnahmen, die aus den Aktivitäten des Finanzplatzes resultieren, sind nicht besonders nachhaltig. Was sind hier Ihre Prognosen?

Luc Frieden: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, denn das Comité de prévision wird erst in den nächsten Wochen Vorhersagen für die nächsten drei Jahre erstellen. Die Wirtschaftsentwicklung in Europa spielt natürlich eine Rolle und ich glaube nicht, dass diese in den nächsten Jahren stark steigen wird. Ich will deshalb den Finanzplatz in Richtung des Wirtschaftswachstums anderer Weltregionen ausrichten. Ich hoffe, dass - indem der Finanzplatz von der Globalisierung profitieren kann - die Steuern, die über ihn hereinkommen, zumindest über die nächsten Jahre stabilisiert werden können.

forum: Luxemburg nimmt nicht an der Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU teil. Der Direktor der Luxembourg School of Finance, Christian Wolff, meinte gegenüber dem Essentiel: "L'absence dune taxe financiere est sans aucun doute un avantage concurrentiel pour le Luxembourg, même si politiquement il y a un risque à prendre. Nous montrons aux voisins que nous ne jouons pas le même jeu. Mais c'est le prix à payer." Würden Sie diese beiden Aussagen unterschreiben: ergibt sich ein Wettbewerbsvorteil und ist dieser den politischen Preis wert?

Luc Frieden: Nein, ich teile diese Analyse nicht. Ich will nur keinen Wettbewerbsnachteil für Luxemburg schaffen. Nehmen wir einmal an, Luxemburg führt eine solche Steuer ein. Der Umstand, dass New York, London, Dublin und Amsterdam nicht teilnehmen, würde zwangsläufig zu einer Verlagerung der Aktivitäten in diese Finanzzentren führen. Luxemburg ist eines der ganz wenigen Länder weltweit, wo es bereits eine spezifische Abgabe für den Finanzsektor gibt, nämlich die Taxe d'Abonnement. In Dublin etwa gibt es diese Steuer nicht. Wenn man Steuern einführt, dann nicht um Arbeitsplätze abzuschaffen. Meine Sorge ist eine soziale. Ich kann eine Steuer einführen, die vielleicht viel Zustimmung findet. Aber wenn damit Hunderte von Arbeitsplätzen in Gefahr geraten, dann ist der Schaden zu groß. Politik muss immer im Interesse der Menschen sein...

forum: ...vor allem im Interesse der Luxemburger, wenn ich so sagen darf?

Luc Frieden: Nein, das ist nicht richtig, denn im Sektor der Fonds arbeiten mehr Ausländer als Luxemburger. Es ist im Interesse Luxemburgs, des Luxemburger Staatshaushalts, aber auch der Arbeitsplätze in Luxemburg.

forum: Sie haben kürzlich gesagt, dass die Initiativen der OECD und des G20 in Richtung einer Harmonisierung der Besteuerung von großen Unternehmen stellten eine Gefahr für das Luxemburger Geschäftsmodell dar. Viele Bürger wissen nicht, worin dieses Modell eigentlich besteht. Können Sie es uns kurz erläutern?

Luc Frieden: Es gibt nicht ein Geschäftsmodell, sondern mehrere. Eines bestand in den letzten Jahren darin, internationale Unternehmen nach Luxemburg zu bekommen, die hier sogenannte Headquarter-Funktionen ausüben. Das heißt, sie zentralisieren hier Managementfunktionen aber produzieren nichts. Das ist der Fall u. a. im Bereich von Internet- und Kommunikationsfirmen, welche hier reelle Aktivitäten ausüben, die ein paar Tausend Arbeitsplätze ausmachen. Andere Länder finden jedoch, dass diese Firmen lediglich dort besteuert werden können, wo sie produzieren und auch weit mehr Arbeitsplätze schaffen. Ich will aber eine Politik verhindern, die dazu führt, dass es in kleinen Ländern keine Aktivitäten von internationalen Unternehmen mehr geben kann. Ein kleines Land kann im Industriesektor nicht so groß sein wie andere, es kann aber eine Reihe Dienstleistungen besser bereitstellen. Das was wir in Luxemburg mit Headquarter-Funktionen betreiben, ist ein Modell, das es auch in Irland und den Niederlanden gibt, und wir wollen nicht, dass es fundamental in Frage gestellt wird. Wir sind aber einverstanden, dass anhand objektiver Kriterien diskutiert werden kann, wie und wo multinationale Gesellschaften besteuert werden können.

forum: Aber es geht doch hier nicht nur um Headquarter-Funktionen sondern vor allem auch um die Möglichkeit der Steueroptimierung. Wenn etwa Vodafone UK durch eine Finanzkonstruktion anstatt 29% lediglich 0,8% Steuern bezahlt, werden statt 280 Millionen Euro Steuern an den britischen Fiskus nur 7 Millionen an die Luxemburger und Schweizer Steuerverwaltung abgegeben.

Luc Frieden: Wir müssen uns grundsätzlich fragen, wovon wir leben. Firmen, die in Luxemburg ansässig sind, agieren in einer globalen Welt. Sie suchen nach dem Ort, wo die Bedingungen am günstigsten sind. Wenn wir in Zukunft keine internationalen Aktivitäten mehr wollen, wenn wir uns auf Handwerksbetriebe beschränken - die ich schätze - dann kann Luxemburg nicht weiter die Ausgaben tätigen, wie wir es im Moment tun. Das Unternehmen, das Sie angeschnitten haben - auch ohne über individuelle Steuerdossiers sprechen zu können - übt in Luxemburg eine reelle Aktivität aus: Vodafone beschäftigt in Luxemburg 300 Angestellte. Das ist vielleicht wenig im internationalen Vergleich. Luxemburg muss klar stellen, ob wir ausländische Unternehmen anziehen wollen, auch wenn sie keine industrielle Produktion haben. Meine Meinung ist ganz klar, dass wir diese Unternehmen wollen und brauchen. Ansonsten können wir nicht den ausgebauten Sozialstaat finanzieren, den wir in Luxemburg gerne hätten.

forum: Unabhängig von der Frage, ob man sich das von einem moralischen Standpunkt aus wünscht...

Luc Frieden: Ich sehe nicht, worin die Unmoral besteht, wenn Unternehmen Gebrauch machen von europäischen Richtlinien und Doppelbesteuerungsabkommen, um im Falle einer globalen Aktivität zu entscheiden, wo sie darauf besteuert werden, in voller Transparenz. Mit den einzelnen Steuerverwaltungen wird verhandelt, wo die Gewinne besteuert werden, die nicht geografisch an ein Land gebunden sind. Es ist im Interesse des Luxemburger Staates, dass wir weiterhin grenzüberschreitende Unternehmen haben. Viele wollen das nicht. Die Debatte über Zypern ist in diesem Kontext sehr interessant.

forum: Es geht ja nicht allein um die Frage, wo besteuert wird, sondern ob überhaupt Steuern gezahlt werden. Gewinne werden als Zinsen deklariert und sind damit kaum besteuerbar, Veräußerungsgewinne werden auch nicht besteuert. Riesige Summen werden ganz einfach nicht besteuert. Finden Sie das nicht problematisch?

Luc Frieden: Diese Fragen sollte man nicht pauschalisieren. Ich bin der Meinung, dass Unternehmen zweifellos Steuern zahlen müssen. Die Frage ist, auf was sie Steuern zahlen müssen und wie diese gestaltet werden können, damit multinationale Unternehmen auch zukünftig in Europa ihre Aktivitäten ausbauen. Dahinter stehen immer Arbeitsplätze - übrigens auch in Luxemburg. Im Finanzsektor im weitesten Sinne gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende Arbeitnehmer, die sich um die Strukturierung solcher Unternehmen kümmern und die ja auch Steuerzahler sind. Deshalb sollte man die soziale Komponente für Luxemburg nicht unterschätzen.

forum: Ihr früherer Regierungskollege Jeannot Krecké hat uns letztes Jahr im Interview gesagt, er habe bei seinen Auslandsreisen, die Möglichkeiten des Luxemburger tax rulings nie angesprochen. Für ihn sei diese Praxis kein substantielles Argument gewesen. Sehen Sie das anders?

Luc Frieden: Tax ruling ist weder etwas Unmoralisches, noch etwas Untransparentes. Es handelt sich um eine individuelle Entscheidung der Steuerverwaltung. Unternehmen wissen so, wie die Steuergesetzgebung auf sie angewandt werden wird. Das schafft Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Mir scheint dieses System wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung von multinationalen Gesellschaften. Für dieses Instrument brauchen wir uns also nicht zu schämen. Im Gegenteil, ich will es sogar noch transparenter gestalten. Tax rulings sind sehr wichtig für die Betriebe und damit auch für Luxemburg. In diesem Punkt war ich auch immer mit Minister Krecké einer Meinung. Ob man das nun in Reden im Ausland sagt oder nicht...

forum: Sie sagten vorhin, moralisch hätten Sie kein Problem mit Praktiken des tax rulings. Nun stellt sich aber auch die Frage nach der politischen Akzeptanz für die Luxemburger Steuerpraktiken. Ist es überhaupt noch realistisch, dass Luxemburg dem politischen Druck der internationalen öffentlichen Meinung noch lange standhalten wird?

Luc Frieden: Die grundsätzliche Debatte ist: Was können kleine Länder in Zukunft noch mit großen Unternehmen zu tun haben? Diese Diskussion ist eine sehr weitreichende, weil sie höchstwahrscheinlich letztendlich darauf hinausläuft, dass kleine Länder von den Großen einfach überrollt werden. Großbritannien hat z. B. sehr interessante Steuermodelle und dennoch denke ich nicht, dass Sie einem britischen Minister diese Frage stellen würden. Ich bin überzeugt, dass unser Modell - das sich zwar manchmal ändern muss - durchaus nach außen vermittelt werden kann. Nicht indem man sich versteckt, sondern indem man fragt: Was sind die Modelle der Besteuerung in einzelnen Sektoren im Ausland? Und bei näherer Betrachtung der holländischen oder britischen Modelle, stellen wir fest, dass Luxemburg auf einmal gar nicht mehr so attraktiv ist. Ich bin es leid, immer den erhobenen Zeigefinger derer zu sehen, die par ailleurs noch ganz andere Wirtschaftszweige haben z. B. Waffen exportieren. Ich befürchte also nicht das Ende, sondern hoffe auf den Anfang einer objektiveren Debatte, die wir international führen müssen. Ich befürchte hingegen eine Renationalisierung der Märkte. Das Beispiel Zypern ist in diesem Kontext sehr interessant, weil andere Länder der Meinung sind, dass private Personen und Unternehmen ihr Geld nicht in ein anderes Land tragen können, sondern nur bei sich selbst investieren dürfen. Ich will hingegen, dass wir in einer globalen Welt leben, und die Globalität den Nationalismus und Protektionismus ersetzt.

forum: Globalität schön und gut: Viele Nationalstaaten stehen heute jedoch vor der Existenzfrage, bei der gerade die Fähigkeit, Steuern einzutreiben, darüber entscheidet, ob sie sich gegen den Druck der Märkte zur Wehr setzen können oder nicht. In diesem Kampf scheint Luxemburg auf der Seite des Großkapitals zu stehen...

Luc Frieden: Sie behaupten das mal einfach so! Ich sehe das anders: Wir stehen auf der Seite der wirtschaftlichen Entwicklung eines kleinen Landes. Und ein kleines Land muss dafür Sorge tragen, dass Aktivitäten angesiedelt werden können. Das Klischee, dass die großen Länder gegen und die kleinen Länder für die Unternehmen seien, ist ganz einfach falsch. In einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zieht jeder die Decke näher an sich. Deshalb wäre es auch gut, wenn Sie die Steuerpraktiken von Betrieben in großen Ländern beschreiben würden. Dann würden Sie nämlich sehen, dass die weitaus aggressiver sind, als dies in kleineren Ländern überhaupt möglich wäre.

forum: Paperjam hat diesen Monat von einer Osmose zwischen den Vertretern des Ministeriums, der Big Four und der Banken geschrieben. Trifft diese Beschreibung zu?

Luc Frieden: Eine der Stärken Luxemburgs ist die gemeinsame Suche nach Lösungen durch Staat und Privatsektor. Das unterscheidet uns von anderen Staaten. Ich begegne sehr oft Investoren, die klagen, im Ausland nur auf Bürokratie und taube Ohren gestoßen zu sein. In Luxemburg hingegen finden sie ein Umfeld, in dem man ihnen zuhört und ihre Sorgen ernst nimmt. Deshalb finde ich es gut, dass man als Politiker nach den Bedürfnissen der Privatwirtschaft schaut und abwägt, inwieweit diese sich mit dem allgemeinen Interesse decken. Diese Abwägung hat allerdings die Politik alleine vorzunehmen. Insofern stört es mich auch nicht, dass der Finanzminister sich regelmäßig mit den Vertretern des Finanzsektors - und dazu gehören neben den Banken, Fonds, den Big Four auch die großen Anwaltskanzleien - zum Meinungsaustausch trifft. Im Gegenteil, das gehört zu einer modernen Demokratie. Die Politik muss zwar alleine entscheiden, wenn sie aber nicht zuhört, wird sie schlecht entscheiden.

forum: Wenn wir Sie richtig verstehen, geht es eigentlich darum, gemeinsam die Interessen des Finanzplatzes zu verteidigen?

Luc Frieden: Nein, es geht darum, gemeinsam die Ausrichtung des Landes für die Zukunft zu sichern, sodass in Luxemburg Arbeitsplätze entstehen und Steuern eingenommen werden, die dann umverteilt und in Infrastrukturen investiert werden können. Jeden Tag aufs Neue muss man sich schrecklich anstrengen, um einen Arbeitsplatz zu schaffen. Denn darum geht es. Den Ausdruck der "Verteidigung" des Finanzplatzes benutze ich eigentlich nie. Nur eins: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung nicht gewährleistet ist, werden wir noch weit mehr Steuerkategorien abhaken müssen als die, die Sie am Anfang des Gesprächs aufgezählt haben.

forum: Sie sagen, es sei an der Politik zu entscheiden, wo die privatwirtschafilichen Interessen und das allgemeine Interesse sich decken und wo nicht. Wo überschneiden sich die Interessen Luxemburgs und die seines Finanzplatzs denn nicht?

Luc Frieden: Wenn etwa Betriebe überhaupt keine Steuern bezahlen wollen. Die Betriebe plädieren oft für weniger oder gar keine Steuern. Diese Meinung teile ich nicht.

forum: In Luxemburg übersteigen die Bankeinlagen das BIP um etwa 500%. Ist die Politik da nicht mit etwas konfrontiert, das ihre Kräfte überfordert?

Luc Frieden: Der Umstand, dass ein kleines Land einen großen Finanzplatz hat, ist an sich nicht problematisch. Auch wenn viele das anders sehen, wie es das Beispiel Zypern beweist. Außerhalb des Dienstleistungssektors kann ein kleines Land mit größeren Ländern nicht mithalten. Wenn Luxemburg weiter wachsen und den heutigen Sozialstaat beibehalten will, kommen wir an einem sehr starken Finanzdienstleistungssektor nicht vorbei.

forum: Sie sehen keine Alternative zu einem starken Finanzplatz? Es gibt demnach keinen Ausweg aus der babylonischen Gefangenschaft des Finanzplatzes?

Luc Frieden: Ich sehe die absolute Notwendigkeit sich weiter zu diversifizieren. Aber Wirtschaftszweige ausfindig zu machen, die das gleiche Volumen an Wirtschaftskraft und Steuern aufbringen, wird kurz- oder mittelfristig nicht möglich sein. Ich weise Sie auch darauf hin, dass unsere Abhängigkeit vom Finanzplatz in den letzten 10 Jahren noch größer geworden ist und von 30% auf 36% der Wirtschaftskraft gewachsen ist. Was auch damit zusammenhängt, dass eine Reihe andere Wirtschaftszweige verschwunden sind.

forum: Gibt es eine Exit-Strategie der Regierung?

Luc Frieden: Die gibt es nicht. Wir wollen, im Gegenteil, dass der Finanzplatz sich weiter entwickeln kann.

forum: Die heutige Situation ist nicht neu. Bis in die 1970er hing die Entwicklung Luxemburgs mit der der Stahlindustrie zusammen. Diese war jedoch enger mit dem Standort Luxemburg verbunden, u. a. weil die Ressourcen im Boden lagerten. Und selbst hier hat Luxemburg die Erfahrung machen müssen, wie schnell ein ganzer Wirtschaftszweig verschwinden kann. Der Finanzplatz hängt am seidenen Faden internationaler Regelungen. Für wie nachhaltig halten Sie die aktuelle Situation?

Luc Frieden: Wir haben zweifellos eine sehr fragile Volkswirtschaft. Wir profitieren auch nicht von extra Reglementierungen, da wir Mitglied der Europäischen Union sind. Wir können also nur die Zukunft des Finanzplatzes gewährleisten, wenn wir diesen Sektor diversifizieren, wenn wir Stabilität und Vorhersehbarkeit in der politischen Begleitung sichern - d. h. nicht jeden Tag etwas grundsätzlich ändern und durch Seriosität und Know-how aufzufallen wissen. Ich denke, dass es in einer globalen Welt absolut notwendig ist, dass es auch international ausgerichtete Finanzplätze gibt in denen das Geld von Betrieben und Privatleuten gut investiert und verwaltet wird. Hierfür wird es immer Nachfrage geben. Luxemburg kann hier eine Rolle spielen, wenn wir uns intelligent anzulegen wissen. Wir müssen uns permanent fragen: Was sind unsere Trümpfe und wo können wir besser sein als die anderen.

forum: Sie stammen aus dem Minett. Trotz der mühsamen Arbeitsbedingungen und der Umweltverschmutzung, war man dort stolz auf die ARBED. Der Finanzplatz ist hingegen ziemlich unbeliebt. Selbst Herr Juncker meinte uns gegenüber, er habe kein "erotisches Verhältnis" zum Finanzplatz...

Luc Frieden: Hier liegt ein fundamentaler Widerspruch: Der Finanzplatz ist vielleicht weniger beliebt, doch wir sind schrecklich froh, über die Milliarden zu verfügen und sie ausgeben zu können. Der Finanzplatz wird erst dann beliebt werden, wenn es ihn nicht mehr gibt.

forum: In zehn Jahren ist die Zahl der in Luxemburg gemeldeten Unternehmen von 20000 auf 40000 gestiegen. Ein Steuerbeamter muss im Moment im Durchschnitt ca. 950 Dossiers betreuen. Ihre eigenen Beamten sagen, sie würden nicht über die nötigen Ressourcen verfügen um gegen Steuerbetrug vorzugehen. Was antworten Sie Ihren Beamten?

Luc Frieden: Es ist richtig, dass die Steuerverwaltung weiterhin hoch qualifizierte Leute einstellen muss, um den Anschluss an die schnell wachsende Wirtschaft nicht zu verlieren. Ich bin also mit meinen Steuerbeamten einverstanden. Wir müssen uns prioritär um die Besteuerung von größeren Strukturen kümmern. Auch die Arbeitsabläufe innerhalb der Verwaltungen müssen weiter modernisiert werden: Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Selbst wenn dann wiederum kritisiert wird, dass der Staat nicht bei seinen eigenen Betriebskosten spare...

forum: Die Steuerbeamten, mit denen wir sprachen, meinten, Sie hätten die Direktive gegeben "anders zu arbeiten".

Luc Frieden: Anders wie?

forum: Das hätten sie sich auch gefragt. Die meisten hätten das so ausgelegt, schneller zu arbeiten und weniger gründlich.

Luc Frieden: Meine Richtlinie ist seit Jahren, dass wir uns auf die komplizierten Dossiers konzentrieren und uns nicht in Detailfragen bei Privatpersonen verlieren sollten. Ich spreche hier von Dossiers, an denen auf der anderen Seite viele Steuerexperten sitzen. Diese hochentwickelten Strukturen muss auch die Verwaltung adäquat behandeln können, quasi auf gleichem Niveau.

forum: Einigen hundert Steuerbeamten stehen Tausende Steuerberater der Big Four gegenüber. Sie sagten, es müssten mehr Leute eingestellt werden: von wie vielen sprechen wir?

Luc Frieden: Ich kann das nicht beziffern. Es ist zwar richtig, dass man sich ernsthaft um diese Dossiers kümmern muss, der Umstand, dass wir Milliarden an Einnahmen haben, beweist aber auch, dass dem so ist. Immerhin ist es ja auch die Rolle einer Gewerkschaft, mehr Einstellungen zu fordern.

forum: Die Abgeordnetenkammer beklagt, dass kein Zahlenmaterial verfügbar sei, anhand dessen man Folgen von Steuerreformen überhaupt einschätzen könne. Auch der Staatsrat hat keine Informationen über die Hypothesen, die den Einnahmevoraussagen zugrunde liegen. Handelt es sich hier um ein fundamentales Problem?

Luc Frieden: Ja, nur brauchte ich hierfür 30 Beamte mehr. Ich müsste demnach 50 Personen mehr einstellen, um die Steuererklärungen zu prüfen und 30 weitere, um die Statistiken auszuarbeiten. Auch ich möchte mehr Statistiken zur Verfügung haben, aber wir sind eben ein kleines Land. Das ist ein Dilemma. Sie sagten am Anfang des Interviews, die Steuereinnahmen würden knapp, dann meinten Sie, die multinationalen Unternehmen sollten ihre Steuern woanders zahlen und schließlich fordern Sie, der Staat müsste mehr Beamte einstellen. Diese Widersprüche, die hier im Interview auftauchen, sind auch die Widersprüche des Luxemburger Landes. Am liebsten hätten wir ein Land mit sehr wenig Wachstum, in dem alle schrecklich reich wären. Die Rechnung geht nicht auf. Entweder wir wollen weiter unseren Lebensstandard halten, und dann brauchen wir ein Land, in dem ausländische Investoren willkommen sind, in dem wir uns mit anderen Kulturen konfrontieren, uns für Veränderungen öffnen. Oder wir sagen: all dies wollen wir nicht mehr; wir geben uns mit kleineren Einkommen und Sozialleistungen zufrieden. Das sind die Optionen. Ich hoffe, dass die nächsten Wahlen diese grundlegendere Diskussion in unserem Land anstoßen: Können wir uns mit weniger zufriedener geben oder wollen wir immer mehr?

forum: Vielen Dank flur das Gespräch!

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