"Es gibt einfach keine ideale Lösung"

Dani Schumacher: Herr Frieden, im Fall von Zypern mussten zum ersten Mal auch die Banken, also die Kunden, ihren Teil zur Rettung beitragen. Wie sehen Sie das?

Luc Frieden: Es war vor allem wichtig, dass wir überhaupt eine Lösung gefunden haben, um Zypern zu retten. Die Finanzmärkte brauchen Stabilität. Hätten wir zu keiner Einigung gefunden, hätte dies zu einer weiteren Destabilisierung geführt. Die Lösung, die wir nun erzielt haben, war ein äußerst schwieriger Kompromiss. Es ging einerseits darum, Gelder aus dem europäischen Rettungsschirm ESM, also Gelder der Euro-Länder, bereit zu stellen. Andererseits mussten wir aber auch Sorge tragen, dass Zypern selbst und die Banken Verantwortung übernehmen. Aus all diesen Überlegungen heraus, ist der Kompromiss letztendlich entstanden. Ich bin mir allerdings bewusst, dass es keine perfekte Lösung ist. Der Kompromiss hat aber den Vorteil, dass er von allen 17 Euro-Staaten mit getragen wird.

Dani Schumacher: Nach der Sitzung vom Wochenende hat der neue Eurogruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem angedeutet, das Rettungsprogramm für Zypern könnte zu einer Art Blaupause für weitere Rettungspläne werden, falls diese erforderlich sein sollten. Teilen Sie diese Meinung?

Luc Frieden: Der Rettungsplan, den wir für Zypern aufgestellt haben, ist eine Ausnahmelösung, die nur im Fall von Zypern spielen kann. Das Beispiel zeigt allerdings, wie schwierig es ist, wenn man nicht nur den ESM, also die Staaten, einbindet, sondern auch andere Akteure wie etwa die Banken in die Verantwortung nehmen will. Wer von den Banken spricht, meint auch die Kunden der Banken. Deshalb beinhaltet der Satz, ‚Die Banken sollen sich selbst retten' ein nicht unerhebliches Risiko.

Dani Schumacher: Was wäre eigentlich passiert, wenn keine Einigung erzielt worden wäre und Zypern also nicht hätte gerettet werden können?

Luc Frieden: Wenn es uns nicht gelungen wäre, uns auf einen Rettungsplan für Zypern zu verständigen, hätte dies zu einer großen Destabilisierung der Märkte geführt. Die Menschen in den anderen Staaten hätten sich gefragt, ob dies auch in ihrem Land passieren könnte. Es hätte zu einer Schockwelle geführt, die ganz Europa erfasst hätte. Diese Welle hätte wegen der sehr offenen Wirtschaft und der Bedeutung des Finanzplatzes auch gravierende Auswirkungen auf Luxemburg gehabt. Eine Lösung für Zypern ist also auch eine Lösung für Europa. Bei Griechenland, Portugal, Irland und Spanien war dies übrigens nicht anders.

Dani Schumacher: Der Rettungsplan für Zypern sieht vor, dass die Bank of Cyprus gerettet wird, das zweitgrößte Finanzinstitut, die Laiki Bank, soll hingegen abgewickelt werden. Die Bürger können diese Entscheidung kaum noch nachvollziehen...

Luc Frieden: Die beiden Banken, die nun umstrukturiert, beziehungsweise abgewickelt werden, waren nicht überlebensfähig. Deshalb kamen EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso und der zypriotische Präsident Nikos Anastasiades bei ihren Gesprächen zum Schluss, dass es am sinnvollsten wäre, diese beiden Finanzinstitute grundlegend umzubauen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die privaten Einlagen unter 100.000 Euro unangetastet bleiben. Vom Prinzip her finde ich ein solches Modell nicht überzeugend. Ich bin vielmehr der Meinung, dass es aus Stabilitätsgründen wichtig ist, alle Banken zu retten, was wir übrigens in Luxemburg im Fall der BGL und der BIL auch getan haben. Bei den Verhandlungen wurde aber auch die Meinung vertreten, dass nicht nur die Staaten in der Pflicht stehen dürfen, sondern dass auch die Banken, sprich die Kunden, ihren Teil der Verantwortung übernehmen müssen. Als Luxemburger Finanzminister kann ich nur wiederholen, dass wir auch in Zukunft alles tun werden, damit die Einlagen der Kunden in Luxemburg sicher sind. Deshalb ist es absolut notwendig, dass die Banken gut strukturiert sind und dass sie ordentlich überwacht werden. Falls es erforderlich sein sollte, wird der Staat unverzüglich via ESM eingreifen.

Dani Schumacher: Nach dem Rettungsplan werden nun immer häufiger Parallelen zwischen Luxemburg und Zypern angeführt, was den Bankensektor anbelangt. In beiden Fällen wird von einem over-banking gesprochen. Besteht diese Gefahr?

Luc Frieden: Ich habe am Dienstag in dem Zusammenhang ein ausführliches Gespräch mit dem niederländischen Finanzminister und Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, geführt. Auf Nachfrage hin hat er mir bestätigt, dass er zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der luxemburgische Finanzsektor zu groß sei und deshalb beschnitten werden müsste. Die Größe eines Landes sagt nichts darüber aus, ob ein Finanzplatz stabil ist oder nicht. Es kommt hinzu, dass der Finanzsektor in Luxemburg vollständig anders aufgestellt ist, als der in Zypern. In Luxemburg gibt es 140 internationale Banken, die Produktpalette ist wesentlich breiter gestreut, die Kunden kommen aus sehr vielen Ländern, aus der EU und aus Dritt-Staaten, und die einzelnen Pfeiler des luxemburgischen Bankensektors sind breiter aufgestellt als dies in Zypern der Fall ist. Luxemburg wird zudem mit einem Triple A bewertet und wir respektieren die internationalen Standards der Finanzwelt. Deshalb ist der Finanzplatz in Luxemburg weiterhin sicher, dies unabhängig von der Größe des Landes und von der Bedeutung des Sektors. Die Größe allein ist kein Kriterium. Spanien ist ein großes Land, trotzdem konnte der spanische Staat seine Banken nicht aus eigener Kraft retten. Die Diskussion um die Parallelen zwischen Zypern und Luxemburg ist eine falsche Diskussion: Die Stabilität eines Bankenplatzes misst sich nicht an der Größe eines Landes. Dem möchte ich noch hinzufügen, dass die Stabilität unseres Finanzplatzes regelmäßig vom Internationalen Währungsfonds überprüft wird.

Dani Schumacher: Bedeutet dies also im Klartext, dass das Geld der Sparer sicher ist?

Luc Frieden: Zunächst muss sich der Sparer informieren, bei welcher Bank und in welchem Land er sein Geld investieren will. Die Meinung, dass das Geld nur dann sicher ist, wenn man es im eigenen Land anlegt, widerspricht der europäischen Idee. Wir brauchen in Europa internationale Finanzplätze. Ich kann nur wiederholen, dass Luxemburg ein seriöser, internationaler und stabiler Bankenstandort ist, an dem noch keine Bank in Konkurs geraten ist, und die Sparer deshalb ihr Geld verloren haben.

Dani Schumacher: Die Rettungspläne wurden bislang immer in letzter Minute aufgestellt, im Fall von Zypern gar in allerletzter Sekunde. Wieso wird nicht früher reagiert?

Luc Frieden: Wegen der speziellen Situation in Zypern hat eine Reihe von Mitgliedstaaten darauf gedrängt, dass das Land einen substantiellen Eigenbeitrag leisten müsse. Darin unterscheidet sich die Situation von den Rettungsaktionen für die anderen Länder, wo die Bereitschaft, hohe Summen zur Verfügung zu stellen, eher gegeben war. Im Fall von Spanien war beispielsweise schnell klar, dass wir 100 Milliarden Euro aufbringen würden, auch wenn nicht alle Gelder abgerufen werden würden. Eine weitere Ursache für die späte Reaktion war der Zeitpunkt der Wahlen in Zypern, die die Suche nach einer Lösung nicht vereinfacht haben, weil es eine Weile keinen richtigen Ansprechpartner gab.

Dani Schumacher: Weil auch auf die privaten Bankguthaben zurückgegriffen wird, leidet nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Betriebe, die nun keine Eigenmittel mehr zur Verfügung haben, um zu investieren, bzw. um die Löhne auszubezahlen...

Luc Frieden: Ziel des Rettungsplans ist es, dem Land zu helfen, langfristig wieder auf eigenen Füßen zu stehen, durch die Bereitstellung von zehn Milliarden Euro und durch die notwendigen Umstrukturierungen. Am Ende werden alle, die Menschen wie die Betriebe, von den Maßnahmen profitieren. Ich bin mir allerdings durchaus bewusst, dass der Weg dorthin sehr steinig sein wird. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Rettungspläne in den anderen Ländern drastische Sparprogramme enthielten, die der Bevölkerung ebenfalls sehr viel abverlangen. Es gibt einfach keine ideale Lösung. Entweder müssen die anderen Staaten aus Solidarität noch mehr Gelder bereitstellen, oder die betroffenen Länder müssen einen größeren Eigenbeitrag leisten. Ich glaube die beste Lösung liegt in der Mitte.

Dani Schumacher: Auch Luxemburg sucht seit langem nach einem zweiten Standbein. Wie soll Zypern nun kurzfristig seine Wirtschaft umstrukturieren?

Luc Frieden: Das ist in der Tat nicht einfach. Ich möchte darauf hinweisen, dass Luxemburg sich nie dafür ausgesprochen hat, dass Zypern seinen Bankensektor zurückfahren muss. Mir war hingegen daran gelegen, dass der Finanzplatz Zypern stabil bleibt. Der Rettungsplan sieht deshalb vor, dass bis auf eine Ausnahme alle Banken überleben werden. Eine vielseitige Wirtschaft ist für jedes Land wichtig, für Zypern wie für Luxemburg. Ich will aber nicht bestreiten, dass der Finanzplatt noch über Jahre der wichtigste Pfeiler der luxemburgischen Wirtschaft bleiben wird. Wir werden übrigens alles tun, um den Bankensektor weiter auszubauen. Denn ohne einen starken Finanzplatz können wir uns keinen starken Sozialstaat leisten. In Europa wächst die Wirtschaft zurzeit nur sehr langsam, deshalb müssen wir unseren Finanzsektor noch internationaler gestalten und uns nach den Regionen der Welt hin orientieren, die ein starkes Wachstum verzeichnen, etwa nach Asien.

Dani Schumacher: Die nächsten Wackelkandidaten, wie etwa Slowenien, sind bereits in Sicht. Wie wird es nun weiter gehen?

Luc Frieden: Dass weitere Länder in Schwierigkeiten stecken, beweist wie ernst die Lage wirklich ist. Der ESM-Rettungsschirm ist zum Glück so groß, dass die Euro-Zone nicht auseinander brechen wird, wenn noch ein weiterer Staat - Hilfe in Anspruch nehmen muss. Allerdings müssen die einzelnen Länder aus eigener Kraft Strukturreformen durchführen, damit sie wieder Wachstum generieren können. Wir brauchen eine Politik in Europa, die Wachstum zum Ziel hat. Wachstum schafft man aber nicht, indem man Geld ausgibt, das man nicht hat, das geht nur über einen zeitlich eng begrenzten Zeitraum.

Dernière mise à jour