"Wichtig ist die Zukunft des Landes". Luc Frieden au sujet des discussions tripartites et des propositions du gouvernement visant à réduire le déficit des finances publiques

Télécran: Herr Frieden, was ist bei den Tripartite-Verhandlungen schiefgelaufen?

Luc Frieden: Ich glaube, einer Reihe von Mitgliedern war der Ernst der Lage nicht bewusst. Sie haben die langfristigen Herausforderungen aus den Augen verloren: die strukturellen Defizite, die Finanzierbarkeit der Renten, die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe. Meiner Ansicht nach fehlte auch der Willen, die Probleme konstruktiv zu diskutieren. Vielleicht ist auch die Zahl der Personen, die an der Tripartite teilnehmen, zu groß.

Télécran: Mit diesen Mitgliedern meinen Sie ja wohl die Gewerkschaften. Diese kritisierten, dass die Tripartite schlecht vorbereitet war. Stimmt das?

Luc Frieden: Ich glaube, wir haben im Vorfeld nicht genug erklärt, wo die richtigen Probleme unseres Landes liegen. So kam es, dass in der Politik, bei den Gewerkschaften und bei den Bürgern die Meinung vorherrschte, alles sei nur halb so schlimm, zumal wir in der Vergangenheit stets relativ gut davongekommen sind. Dieses Gefühl hat dominiert. Und wir - der Staatsminister und ich, die dauernd mit den realen Zahlen in Europa konfrontiert sind - dachten, dass die Menschen die Wirklichkeit längst erfasst hatten. Es kommt hinzu, dass viele Menschen, die in den letzten Monaten in Luxemburg entlassen wurden, Grenzgänger sind. So dass der Arbeitsplatzabbau in Luxemburg weniger spürbar war als in den Nachbarländern. Ich glaube, dass die Kommunikation im Vorfeld nicht gerade optimal war.

Télécran: Kommunikation scheint überhaupt ein großes Problem gewesen zu sein. Am Ende Ihre Pressekonferenz über die Sparmaßnahmen standen Sie allein als Hardliner da. Was haben Sie falsch gemacht?

Luc Frieden: Die Pressekonferenz war nicht gut. Sie war auch nicht geplant. Doch sie hat stattfinden müssen, nachdem einige Vorschläge, die wir als Regierung in der Tripartite gemacht hatten, ohne Nuancen in die Öffentlichkeit getragen wurden. Was ich anschließend vorgestellt habe, wirkte wie ein Maßnahmenkatalog, um die Menschen zu verärgern. Das war unser Ziel nicht und ist es bis heute nicht. Aber mir gelang es nicht, Nuancen anzubringen und zu erklären, warum wir zu diesen Sparmaßnahmen gezwungen sind. Wir müssen ganz einfach so handeln, weil wir nicht jedes Jahr mehr Geld ausgeben können als wir einnehmen. Wenn wir nicht sparen, müssen wir die Steuern erhöhen. Ohne strukturelle Reformen im Zusammenhang mit der Gehälterrevision und der Renten, müssten wir einige Dinge abbauen. Der gesamte Kontext kam nicht herüber. Das ist schade. Trotzdem stelle ich fest, dass das Sparpaket, das die Regierung jetzt vorgelegt hat, sich im Vergleich zum ursprünglichen Projekt nicht wesentlich verändert hat.

Télécran: Wie bewerten Sie denn das Vertrauensklima in der Koalition? Der Alleingang von Nicolas Schmit war doch ein Frontalangriff gegen Sie. Wie läuft das, wenn man wieder zusammen an einem Tisch sitzt?

Luc Frieden: Derartiges Benehmen ist natürlich nicht kollegial und nicht akzeptabel, weil es die Autorität der Regierung in einer ganz schwierigen Lage schwächt. Wesentlich ist jedoch, dass wir uns einig sind in der Koalition über die Zielsetzung - dass wir die Staatsfinanzen längerfristig gesund halten müssen und uns nicht überschulden können. Wichtig ist die Zukunft des Landes, der Rest sind bedauerliche Zwischenfälle, mit denen man leider manchmal leben muss.

Télécran: Und das Klima in der Koalition?

Luc Frieden: Ich glaube, das Klima in der Regierung - wohlverstanden in der Regierung - ist gut. Es gibt innerhalb der Koalition unterschiedliche Meinungen über den Zeitpunkt für eine Reihe von Maßnahmen zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Als Finanzminister weiß ich, dass der Prozess, den wir begonnen haben, in den kommenden vier Jahren noch viele schwierige Momente bringen wird, um auf dem Weg zur Defizitreduzierung weiterzukommen. Teile der Koalition sind auch unterschiedlicher Meinung über die Gewichtung von Ausgaben senken und Steuern erhöhen. Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass es für ein Land wichtig ist, einen vernünftigen Steuersatz zu haben, der sozial gerecht und leistungsfreundlich ist - nicht zu hohe Steuern - und dass man andererseits eine Reihe von Ausgaben senken muss.

Télécran: Bei den Steuermaßnahmen fällt auf, dass die Privatpersonen stärker belastet werden als die Betriebe, die ohnehin wenig Steuern zahlen. Und 80 Prozent zahlen überhaupt keine. Geht es den Betrieben so schlecht, dass sie derart geschont werden müssen?

Luc Frieden: Viele Betriebe werfen in der Tat recht wenig Gewinn ab. Ausnahmen waren die Banken und Finanzdienstleistungen. Und die bezahlten 75 Prozent der Körperschaftssteuer. Die Banken leben in einer offenen Wirtschaft. Jede Mehrbelastung schwächt den Standort Luxemburg gegenüber Dublin und London. Wir können unsere Steuern als nicht frei und ohne Rücksicht auf das, was im Ausland geschieht, gestalten. Betriebe schaffen Arbeitsplätze. Auch das ist ein wichtiger Aspekt. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Kinder noch einen Job finden. Aus diesen Gründen ist es wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu unterstützen.

Télécran: CSV-Präsident Michel Wolter zufolge lebte Luxemburg während langer Zeit sehr gut vom "Rahm" auf der Milch. Doch jetzt sei die Sahne weg, die strukturellen Ausgaben seien aber geblieben. War die Politik der vergangenen Jahre zu großzügig?

Luc Frieden: Wir haben zwei Dinge getan: Wir haben Geld beiseite gelegt, um Strukturprojekte über die Jahre hinweg zu finanzieren. Andererseits: Wenn es einem Land gut geht, will man ja die Menschen daran teilhaben lassen. Das geschah zum Teil durch den Ausbau der Sozialleistungen. Wenn wir nun ein wenig zurückschrauben, dann bleibt uns noch sehr viel. Wir haben in Luxemburg auch dann noch die höchsten Familienzulagen in Europa. Wir bleiben das Land mit den höchsten Löhnen, auch wenn es zu keinen Erhöhungen in den kommenden Jahren kommen kann. Was mich in den letzten Wochen am meisten traurig machte: dass es so aussah, als ob wir den Menschen einfach alles wegnehmen wollten. Wir wollen nur, dass sie ein wenig verzichten, damit es unserem Land und unseren Kindern in zehn Jahren auch noch gut geht. Dann wird es ihnen hoffentlich noch immer besser gehen als in den Nachbarländern. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass dies keine einmalige Operation war und das Problem jetzt gelöst wäre. Die Probleme in Europa und in Luxemburg werden während der kommenden Jahre noch substantiell sein.

Télécran: Die Arbeitgeberseite fühlt sich vor den Kopf gestoßen, weil keine Entscheidung über den Index getroffen wurde. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Luc Frieden: Die Regierung nimmt die Sorgen sehr ernst. Wir werden über ihre Probleme diskutieren, aber nicht erst im Herbst. Wir setzen unsere Gespräche in den kommenden Wochen fort, wenn auch nicht im formellen Rahmen einer Tripartite.

Télécran: Das heißt eine neue Art von bilateralen Verhandlungen?

Luc Frieden: Ich glaube, dass sehr viele Gespräche über die Sachlage zu führen sind. Weil wir konfrontiert sind mit Gewerkschaften und Teilen der Politik, die glauben, unser Land hätte kein Problem. Ich bin der Meinung, dass wir ein Problem haben. Alle Informationen, die wir von europäischen Instituten erhalten, beweisen, dass wir in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben und dass sich unser Finanzplatz in einer größeren Umstrukturierung befindet. Der Bereich des Private Banking wird sich verändern. All dies muss berücksichtigt werden bei der Planung der nächsten Jahre.

Télécran: Sie sagen, es nehmen zu viele Personen an den Verhandlungen der Tripartite teil. Wird es denn zu einem anderen Konzertierungsinstrument kommen?

Luc Frieden: Ich bin nicht Präsident der Tripartite. Das ist die Aufgabe des Staatsministers. Aber als einer, der an der Dreierrunde teilgenommen hat, glaube ich, dass man im kleinen Kreis in diesen schwierigen Zeiten und angesichts der verhärteten Fronten besser vorwärts kommen kann.

Télécran: Warum werden erst jetzt grundsätzliche Analysen über die Wettbewerbsfähigkeit erstellt?

Luc Frieden: Wir hatten bereits Angaben. Und wir haben darüber diskutiert. Aber die Gewerkschaften haben die Feststellungen des Observatoire de la Compétitivité und des Statec ablehnt. Deshalb brauchen wir zusätzliche Instrumente, um unsere Ansichten noch klarer zu machen. Aber auch dann ist keine Einigung in der Tripartite sicher. Ich bleibe dabei, dass wenn keine Einigung erzielt wird, die Regierung handeln muss, und dass dies im Parlament stattfinden muss. Das ist keine Missachtung der Tripartite, wie dies auf meiner Pressekonferenz missverstanden wurde. Es entspricht ganz einfach der Funktionsweise der Demokratie.

Télécran: Was ist eigentlich Ihre Meinung zum Index und was halten Sie von den beiden vom Premier vorgeschlagenen "Pisten"?

Luc Frieden: Der Index hat sicher zum Wohlstand und zum sozialen Frieden in diesem Land beigetragen. Deshalb wollen wir ihn auch nicht einfach abschaffen. Das Problem ist, dass wir das einzige europäische Land sind, das ein Indexsystem hat, derweil die Nachbarländer, mit deren Betrieben unsere Wirtschaft konkurriert, dies nicht hat. Das ist das Problem. Und das wirkt sich stärker aus in einer Krise. Wenn der Index durch erhöhte Ölpreise steigt, werden die Löhne erhöht und unsere Produkte weniger konkurrenzfähig. Ich glaube, dass die Piste, die um den Warenkorb dreht, sich strukturell besser auswirkt. Deshalb teile ich die Meinung des Staatsministers, diese Piste zu bevorzugen. Der so genannte soziale Index hat den Vorteil einer gewissen sozialen Gerechtigkeit. Man sollte offen darüber diskutieren. Die Diskussionen befinden sich in einem frühen Stadium. Aber einfach so weitermachen wie bislang wäre keine verantwortungsvolle Lösung.

Télécran: Viel ging die Rede Menschen mit schmalen und breiten Schultern. Ab wann gilt man als jemand mit "breiter Schulter", also als jemand, dem man mehr Opfer abverlangen kann? Wo liegen die Grenzwerte?

Luc Frieden: Jeder Grenzwert ist immer schwer zu bestimmen. Im Vergleich zum Ausland haben die Luxemburger zu 80 Prozent breite Schultern. Nur es gibt kaum Leute, die selber finden, dass sie breite Schultern haben. Das haben wir auch gesehen bei der Diskussion über die Erziehungszulage. Für Menschen mit einem sehr hohen Einkommen sollte sie abgeschafft werden. Ich habe diese Maßnahme sehr schnell zurückgezogen, als der Eindruck entstanden war, hier würde etwas gegen die Familien gemacht. Ohnehin war sie nur ein ganz kleiner Teil des Gesamtpakets. Es ist schwer, soziale Selektivität einzuführen, weil es keinen objektiven Grenzwert gibt. Meiner Meinung nach muss man das immer im Vergleich mit dem Ausland sehen. Auch jetzt bezahlen wir über eine Milliarde Euro Kindergeld in Luxemburg. Das gibt es in keinem anderen Land. Ich freue mich darüber. Eine Gesellschaft soll die Kinder unterstützen. Aber man darf nicht aus den Augen verlieren, was 20 Kilometer jenseits unserer Grenze passiert.

Télécran: Ab 21 Jahren gibt es kein Kindergeld mehr. Studenten, die in Luxemburg wohnhaft sind, soll dieser Ausfall kompensiert werden, etwa durch Stipendien. Die Kinder der Grenzgänger gehen leer aus. Ist diese Vorgehensweise in Europa überhaupt zulässig?

Luc Frieden: Das geht, weil es sich nicht um Sozialleistungen handelt. Das System der Studienbörsen bleibt national. Die Studenten, die in Frankreich leben, können in ihrem Land ein Stipendium beantragen. Die Idee, dass man sparen kann, ohne dass jemand es spürt, geht natürlich nicht!

Télécran: Wie viel Geld spart der Staat, wenn die Kinder der Grenzgänger keine Studienhilfe mehr bekommen?

Luc Frieden: Diese Maßnahme spart dem Luxemburger Staat 40 Millionen.

Télécran: Jeder muss sparen. Und die Politiker? Wäre es kein guter Schachzug, wenn die Politiker bei ihren eigenen Bezügen, Auslandsentschädigungen oder Parkplätzen auch sparen würden?

Luc Frieden: Selbstverständlich sind wir von den Sparmaßnahmen betroffen, denn wir sind auch normale Bürger...

Télécran: Davon mal abgesehen...

Luc Frieden: ...und wir sind Familienmenschen. Alle diese Maßnahmen treffen uns auch. Es ist klar, bei den Sparmaßnahmen bezüglich der Funktionskosten des Staates müssen diese Dinge auch mit diskutiert werden. Ich sage auch, dass nicht jeder im Land das Sparpaket kritisiert hat. Es gab auch viele Menschen, die mir geschrieben haben und ihr Verständnis ausgedrückt haben. Ich bin dankbar, dass ein Teil der Bevölkerung gewillt ist, auf Verschiedenes zu verzichten, um die Zukunft des Landes abzusichern.

Télécran: Wir sind noch nicht am Ende des Tunnels. Sie haben es angedeutet. Es bleiben außerdem noch zwei dicke Brocken: Die Renten und die Gehälterreform im öffentlichen Dienst. Worauf müssen wir uns noch einstellen?

Luc Frieden: Ich glaube, man muss grundsätzlich dafür sorgen, dass die Ausgaben des Staates nicht wachsen, bevor man den Leuten etwas wegnimmt. Das gilt für die Index-Debatte. Eine Index-Tranche kostet den Staat netto 100 Millionen Euro. Wir müssen die Pensionen, die im Regelfall hoch sind, über 2030 hinaus absichern. Das ist eine riesige Herausforderung. Wir können nicht alles so laufen lassen, wie bisher. Und die Ausgaben des Staates für die öffentlichen Gehälter dürfen auch nicht konstant ansteigen. Die Tripartite kann man nicht losgelöst von all diesen Herausforderungen betrachten.

Télécran: Was ist für Sie die schwierigste Frage?

Luc Frieden: Die Pensionsreform ist die größte Herausforderung der kommenden sechs bis acht Monate. Sie hat Konsequenzen für alle Menschen hierzulande. Ich spreche nicht von einer Finanzierungsproblematik für unsere Enkelkinder, sondern von einer, die uns selber betrifft. Mit ein wenig politischem Mut könnten wir heute noch eine Reihe von Dingen ändern. Die Regierung hat dazu den Willen, genau wie sie auch den Willen hat, die staatlichen Finanzen in Ordnung zu bringen. Der Streit, der erklärbar ist durch den Stress der Krise, in einem Land, das nicht an Verschlechterungen gewohnt war, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir an unseren Zielen festhalten müssen. Ich bin überzeugt, dass trotz aller Schwierigkeiten der vergangenen Wochen, ein großer Teil der Bevölkerung die Regierung unterstützt. Mit großer Zufriedenheit habe ich auch festgestellt, dass die großen Linien der Finanzpolitik von fast der gesamten der Opposition geteilt werden.

Télécran: Stress wegen ungewohnter Probleme hierzulande, noch mehr Stress in Europa. Wie schlimm ist die Lage?

Luc Frieden: Ich bin sehr besorgt über die extrem hohen Defizite in Europa, die mittelfristig zu einem Vertrauensverlust in Europa führen werden. Investoren werden sich abwenden. Europa hat jedoch noch viele Trümpfe, genau wie unser Land. Wenn wir uns alle am Riemen reißen, Schulden abbauen bei vernünftigen Steuern, dann hat dieser Kontinent eine große Zukunft vor sich. Wir stehen jedoch erst am Anfang dieses Prozesses.

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