"Es reicht nicht zu sagen, wie gut Luxemburg ist"

Interview: Luxemburger Wort (Marco Meng)

Luxemburger Wort: Gilles Roth, die Baukonjunktur liegt flach, seit Kredite teurer wurden. Jetzt hat die EZB etwas an den Zinsen geschraubt. Gibt es schon Anzeichen der Besserung?

Gilles Roth: Die EZB hat den Leitzins heruntergesetzt, aber es ist nicht so, dass der Finanzminister den luxemburgischen Banken sagen könnte, dass sie das jetzt an die Endkunden weitergeben und ihre Kreditzinsen senken sollten. Ich würde es natürlich begrüßen, wenn sie es tun, denn es würde unterstützend wirken für diejenigen, die aktuell Kredite zurückzahlen, aber auch für diejenigen, die sich in neue Projekte einbringen wollen.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Regierung ihrerseits eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet hat, um die Baubranche zu unterstützen. Wir haben die abzugsfähigen Kreditzinsen erhöht, wir haben den sogenannten "Bëllegen Akt" aufgestockt für alle, die eine Erstwohnung erwerben möchten. Und bis zum Ende des Jahres ist der Steuersatz für realisierte Wertsteigerungen bei Immobilienverkäufen auf ein Viertel reduziert. Wird der Verkaufserlös einer Immobilie in eine andere Immobilie zur sozialen Vermietung oder mit hoher Energieeffizienzklasse reinvestiert, ist der Veräußerungsgewinn steuerfrei. Die Feedbacks, die wir sowohl von Banken als auch von der Baubranche erhalten, besagen, dass ein leichter Aufschwung zu verzeichnen ist. Ich hoffe natürlich, dass der sich weiterentwickelt.

Luxemburger Wort: Handelskammer und OECD sehen das Rentensystem als nicht tragbar an. Belastet das irgendwann den Staatshaushalt und damit auch das AAA-Ranking?

Gilles Roth: Das Triple-A hängt hauptsächlich von der Entwicklung der öffentlichen Verschuldung ab. Die kann in den nächsten Jahren nicht weiter so in die Höhe schnellen, wie das in den vergangenen Jahren - pandemiebedingt, aber auch durch andere Faktoren - der Fall war. Die Kurve der öffentlichen Schulden muss sich also abflachen, und das ist auch das Ziel der Regierung und besonders des Finanzministers. Dazu brauchen wir Wirtschaftswachstum, denn je mehr Wirtschaftswachstum wir haben, umso flacher wird die Kurve.

Was nun die Renten betrifft: Das ist ein wesentliches Problem, das wir auch in Luxemburg mit Weitsicht angehen. Deshalb werden wir, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Zukunft des Rentensystems führen. Ziel ist der gesellschaftliche Konsens. Die Problemlage ist ja allgemein bekannt. So stellt zum Beispiel auch die Europäische Kommission fest, dass Luxemburg zwar im Prinzip ein Rentenalter von 65 Jahren hat. In der Praxis gehen viele Menschen aber wesentlich früher in Rente.

Für viele Betriebe stellt dies auch ein Verlust an Fachwissen dar. In diesem Zusammenhang ist es übrigens zu begrüßen, dass der Frauenanteil in der Beschäftigung stetig in die Höhe geht. Das ist extrem wichtig und förderlich für die gesamte Wirtschaft, und ich als Budgetminister unterstütze das. Denn den öffentlichen Haushalt kann man nicht bloß strikt buchhalterisch führen, sondern er ist ein politisches Steuerungsinstrument im Allgemeininteresse für die Bürgerinnen und Bürger und die Herausforderungen der Zeit.

Luxemburger Wort: Sie sprechen den Fachkräftemangel an. Bei der ABBL sagt man, man muss Mitarbeiter bis nach Indien suchen. Kann man den Zuzug solcher Fachkräfte vereinfachen?

Gilles Roth: Wir brauchen wettbewerbsfähige Betriebe und einen attraktiven Finanzplatz. 47 Prozent des luxemburgischen Haushalts sind Sozialausgaben. Um diesen hohen Standard weiter finanzieren und auch die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger stärken zu können, braucht es natürlich Fachkräfte.

Der luxemburgische Finanzplatz funktioniert hauptsächlich mit sehr strukturierten Produkten, und für die brauchen wir auch Leute mit hohem Fachwissen. Wir brauchen Talente aus Luxemburg, aus der Großregion und darüber hinaus; dazu gehören auch Entscheidungsträger. Und deshalb werde ich voraussichtlich noch vor der Sommerpause einige Steuermaßnahmen vorschlagen, um Expats nach Luxemburg zu ziehen, denn da haben wir eine riesige Konkurrenz mit Mailand, mit Paris, mit London. Das ist eine offensive Politik, die wir da angehen, denn es reicht nicht zu sagen, wie gut doch Luxemburg ist.

Wir brauchen auch die Großregion, sie ist absolut wichtig und deshalb müssen wir auch eine Lösung finden bei der Überstundenbesteuerung. Ich bin mir bewusst, dass von den rund sechzigtausend Grenzpendlern, die wir aus Deutschland haben, 20.000 Überstunden leisten.

Luxemburger Wort: Zur Überstundenregelung gibt es Gespräche?

Gilles Roth: Ja, dazu sind wir im Gespräch, aber das ist eine komplexe Problematik, denn es braucht eine Gesamtlösung für alle Grenzpendler. Da wird sich was bewegen. Ich gehe davon aus, dass wir das auch bis Mitte Juli erarbeiten können.

Luxemburger Wort: Wird das EU-Projekt Kapitalmarktunion wirklich zum Vorteil des Luxemburger Standortes sein?

Gilles Roth: Die Situation in der Europäischen Union ist folgende: die Menschen haben gespart, und es ist viel Geld da. Aber die Ersparnisse werden oft in anderen Regionen der Welt und nicht in Europa, zwecks Finanzierung von EU-Unternehmen, investiert.

Neben der legalen Rentenversicherung brauchen wir darüber hinaus mittel- und längerfristig auch ein Zusatz-Pensionsregime als zweiten und dritten Pfeiler. Auch hier könnten die vorhandenen Ersparnisse genutzt werden, um Unternehmen in Europa das nötige Kapital bereitzustellen, deren Ertrag dann wiederum die Altersversicherung im zweiten und dritten Pfeiler unterstützen.

Es geht also um die Mobilisierung von Privatkapital zusätzlich zu den öffentlichen Geldern. Der luxemburgische Finanzplatz kann hier eine tragende Rolle spielen.

Luxemburger Wort: Und warum zieht es sich so lange hin?

Gilles Roth: Unsere Finanzaufsichtsbehörde CSSF ist international anerkannt und hat eine hervorragende Expertise. Wir sind der Hub innerhalb der Europäischen Union für Finanzinstitute, die außerhalb der Europäischen Union ansässig sind. Ob Unternehmen aus China, der Schweiz, Großbritannien, oder den USA sind – sie alle nutzen Luxemburg, um von hier aus in der Europäischen Union Geschäfte zu machen.

Eine Diskussion über eine Zentralisierung der Aufsichtsbefugnisse bei der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma in Paris bringt uns nicht bei der Vertiefung der EU-Kapitalmarktunion weiter. Sie trägt nicht zur weiteren Mobilisierung von Privatkapital bei, bringt der europäischen Wirtschaft keinen weiteren Euro ein, sondern verzögert nur die Diskussionen über die notwendigen Maßnahmen zur Vertiefung der EU-Kapitalmarktunion. Das ist nicht zielführend.

Luxemburger Wort: Luxemburg steht in Konkurrenz auch mit anderen Finanzplätzen wie Dublin. Wie positioniert sich Luxemburg da?

Gilles Roth: Irland und Luxemburg haben ein sehr freundschaftliches und gutes Verhältnis. Ja, wir stehen auch im Wettbewerb miteinander, und Luxemburg möchte nicht auf seinen Wettbewerbsvorteil in der Fondsindustrie verzichten. Deshalb müssen wir das auch steuerlich begleiten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir da aktiv werden und steuerliche Anreize schaffen bei den aktiv gemanagten ETF-Fonds.

Luxemburger Wort: Sie haben einen Zehn-Punkte-Aktionsplan für nachhaltige Finanzen. Ist das die Zukunft, wie der Finanzplatz weiter wachsen soll?

Gilles Roth: Wir brauchen Wachstum, wir brauchen privates Kapital, und wir müssen die Energie- und die digitale Transition weltweit voranbringen. Was man unter nachhaltigen Finanzierungen versteht, da gehen die Interpretationen auseinander.

Die Politik Luxemburgs im Sinne der nachhaltigen Finanzen ist folgende: Wir haben die Expertise mit unserem Fondsgeschäft, aber auch im Bereich der Kapitalmärkte, und wir möchten das auf einem spezifischen Sektor ausbauen im Sinne der nachhaltigen Finanzen. Das steht einem modernen Luxemburger Finanzplatz gut zu Gesicht.

Nachhaltige Finanzen sind nachgefragt, und wir haben die Expertise in Luxemburg, um privates Kapital zu mobilisieren. Wir setzen dabei auf Blended Finance. Das heißt, die öffentliche Hand investiert in einige Projekte, damit das Investitionsrisiko abgefedert ist und sich Privatkapital hinzugesellt. Über die Definition von Nachhaltigkeit - dazu gehört auch der soziale Aspekt - muss man sich in Europa verständigen, und das muss relativ schnell geschehen.

Luxemburger Wort: Die ING Bank hat für Schlagzeilen gesorgt, weil sie massenhaft Konten kündigt und sich vom Schalterkundengeschäft trennt. Sehen Sie da einen Trend?

Gilles Roth: Die Entscheidung, ihr Retailgeschäft aufzugeben, ist Sache der ING und das habe ich nicht zu kommentieren. Die Kommunikation darüber hätte seitens der Bank aber besser sein können. Das kann ich sagen, denn mir liegt natürlich die Reputation des luxemburgischen Finanzplatzes am Herzen. Deshalb bin ich auch froh, dass die fünf Banken Spuerkeess, BGL BNP Paribas, BIL, Raiffeisen und Post Finance sofort für eine Aufnahme dieser Privatkunden bereitstanden und dies auch schnell abwickeln können.

Die Zukunft des luxemburgischen Finanzplatzes hängt aber nicht von der Frage "Retail oder nicht Retail" ab. Die Zukunft der luxemburgischen Finanzplätze liegt darin, zukunftsorientierte Finanzprodukte anbieten zu können. Dafür braucht es professionelle Fachkräfte, Fachwissen und die schnelle 1:1-Umsetzung europäischer Richtlinien.

Das heißt auch, eine Antwort zu neuen Märkten zu geben: dazu zählen nachhaltige Finanzen, aber auch ein modernisiertes Blockchain-Gesetz, und das beinhaltet auch eine pragmatische Finanzaufsicht und Regulierung.

Luxemburger Wort: Wie sieht die Zukunft des Finanzplatzes aus?

Gilles Roth: Wir müssen Luxemburg weiter stärken als Anker für die Europageschäfte von Finanzinstituten, die von außerhalb der Europäischen Union hierhin kommen. Das betrifft nicht nur Banken, sondern etwa auch Versicherungen und Rückversicherungen. So hat zuletzt die China Taiping, eine der zehn größten chinesischen Versicherungen mit weltweit 500.000 Mitarbeitern, angekündigt, dass sie in Luxemburg ihre Europazentrale einrichten will.

Die Zukunft des luxemburgischen Finanzplatzes beruht auf Kompetenzen, einer sehr hohen Reputation, Stabilität -auch die politische Stabilität innerhalb des Landes - und Fachkräften. Deswegen ist mir um die Zukunft des luxemburgischen Banken- und Versicherungsplatzes nicht bange. Das heißt aber, dass wir uns tagtäglich selbst infrage stellen müssen. Wer das nicht tut, der geht zurück, und wir wollen vorwärts gehen.

Regierungsmitglied

ROTH Gilles