Interview mit Yuriko Backes im D'Handwierk

"Zeit, umsichtig und vorsichtig zu handeln."

Interview: D'Handwierk

d'Handwierk: Die Pandemie und die Kompensation der außerordentlichen Preissteigerungen infolge des Kriegs in der Ukraine haben beträchtliche Haushaltsmittel mobilisiert. Ist eine solche Politik auf Dauer haltbar, wenn die Inflation weiter anhält und die Energiewende teuer wird?

Yuriko Backes: Die Hilfen, die die Regierung im Rahmen des "Solidaritéitspak" und des "Energiedesch beschlossen hat, sind alle zeitlich begrenzt und zu allererst darauf ausgerichtet, jenen zu helfen, die von der Inflation besonders stark betroffen sind. Das ist gleichzeitig genau das Vorgehen, zu dem uns auch alle internationalen Organisationen raten: Helfen, aber gezielt und zeitlich begrenzt. Das geschieht beispielsweise beim sozial gestaffelten Energie-Steuerkredit für Privatpersonen, aber auch bei der Energiekostenbeihilfe für Unternehmen. Gerade Handwerksbetriebe bekommen die aktuelle Krise sowohl bei den Energie- und Rohstoffkosten, als auch bei den Personalkosten zu spüren. Planungssicherheit ist deshalb wichtig, und da setzen die aktuellen Maßnahmen an. In der jetzigen Situation, die von großer Unsicherheit geprägt ist, sehe ich es als meine Verantwortung als Finanzministerin an, umsichtig und vorsichtig zu handeln. Die aktuelle Entwicklung geht in der Tat in Richtung einer Inflation, die länger anhalten wird, als noch zum Zeitpunkt der Tripartite im März angenommen. In der nächsten Tripartite sind demnach alle Sozialpartner gefordert, Verantwortung zu übernehmen und pragmatische Kompromisse zu finden, die dieser verschärften Situation Rechnung tragen, und gleichzeitig die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen nicht in Frage zu stellen. Für mich ist dies eine Frage der nationalen Solidarität und der Zukunftsfähigkeit des Luxemburger Modells.

d'Handwierk: Eine Steuerreform, wie sie im Koalitionsvertrag der Regierung vorgesehen ist, scheint aus den oben genannten Gründen in dieser Legislaturperiode nicht mehr durchführbar zu sein. Werden einmalige steuerliche Maßnahmen in Betracht gezogen? Wenn ja, in welche Richtung werden sie gehen?

Yuriko Backes: Premierminister Bettel hat schon vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine klar gesagt, dass in dieser Legislaturperiode keine große Steuerreform mehr kommen wird. Der nötige finanzielle Spielraum ist krisenbedingt leider nicht mehr gegeben. In der Pandemie hat der Staat 2,8 Milliarden Euro ausgegeben, um den Menschen und den Unternehmen zu helfen - das war die richtige Entscheidung. In der aktuellen Krise hat die Regierung zu diesem Zeitpunkt bereits über 1,4 Milliarden Euro für Hilfen und staatliche Garantien für Bankdarlehen mobilisiert. All diese Mittel waren natürlich nicht eingeplant. Zudem bleibt die wirtschaftliche Entwicklung über die nächsten Monate höchst unsicher. Eine große Steuerreform wäre daher unter diesen Umständen verantwortungslos. Die Steuerpolitik ist nicht das einzige Instrument, das dem Staat zur Verfügung steht, um Bürgern und Unternehmen in der aktuellen Situation unter die Arme zu greifen. Ich bin daher offen dafür, über weitere gezielte soziale Maßnahmen sowie Subventionen, insbesondere im Bereich der Energietransition, zu reden. Obwohl in dieser Legislaturperiode keine große Steuerreform mehr umgesetzt wird, heißt das nicht, dass die Regierung in diesem Bereich tatenlos bleiben wird. Wie bereits angekündigt, werden wir im Herbst die Reform der Grundsteuer vorstellen, sowie zusätzliche Maßnahmen, um die Spekulation auf dem Wohnungsmarkt einzudämmen. Dies ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Mir ist es wichtig, dass gerade in Krisenzeiten der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft gewährleistet bleibt. Ein Thema, das mir in diesem Zusammenhang sehr am Herzen liegt, ist die besondere Situation der Alleinerziehenden. Ich denke, dass es hier einen parteiübergreifenden und sogar gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Erleichterungen nötig sind. Auch beim Stichwort Talente`, das sowohl den Finanzplatz und die Industrie als auch das Handwerk betrifft, kann ich mir gezielte Maßnahmen vorstellen. Ganz allgemein müssen wir darauf achten, dass unsere Wirtschaft auch in Zukunft international wettbewerbsfähig bleibt und Investitionen - gerade in die Digitalisierung und nachhaltige Technologien - gefördert werden. Steuererhöhungen, wie manche sie fordern, wären in diesem Zusammenhang sicher nicht zielführend. Mit Blick auf die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen scheint es mir absolut notwendig, erneuerbare Energien auch steuerlich zu fördern. Konkret wird über eine Herabsetzung des Mehrwertsteuersatzes beim Kauf von Photovoltaikanlagen nachgedacht.

d'Handwierk: Die außerordentlichen Preissteigerungen bei Materialien und Energieprodukten sowie die durch den Inflationsdruck verursachten höheren Personalkosten führen zu einer erheblichen Verteuerung der Bauprojekte. Befürchten Sie dass das Volumen der vom Staat zu tätigenden öffentlichen Investitionen in Zukunft sinken wird, um die derzeitigen Mehrkosten "auszugleichen"?

Yuriko Backes: Die steigenden Kosten für Bauprojekte betreffen jeden, der baut oder renoviert. Sie machen Privatleuten zu schaffen, aber natürlich auch öffentlichen Bauträgern. Die Gründe für diese Preissteigerungen liegen vor allem im Krieg mit seinen Auswirkungen auf Energiekosten und Lieferketten. Ich kann nur unterstreichen, dass die Regierung weiterhin zu ihrer ambitionierten Investitionspolitik steht und sicherlich keine Kürzungen in diesem Zusammenhang plant. Im Gegenteil: es muss weiter massiv in die Mobilität, die Energie- und Klima-Transition und den Wohnungsbau investiert werden, und das Handwerkt spielt bei der Umsetzung selbstverständlich eine maßgebliche Rolle. Als Finanzministerin stehe ich zu dieser Politik und von diesem Weg lassen wir uns als Regierung nicht abbringen; trotz steigender Kosten.

d'Handwierk: Wie kann angesichts der großen geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten (z.B. internationaler Druck im Bereich der Besteuerung und der Regulierung des Finanzsektors) und ihrer potenziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Einnahmen in den kommenden Jahren eine kontrollierte Entwicklung der öffentlichen Ausgaben gewährleistet werden?

Yuriko Backes: Eines vorweg: Wir müssen die Inflation bekämpfen und die wirtschaftliche Entwicklung stärken. Das können wir nicht alleine. Luxemburg ist ein kleines Land in einer globalisierten, vernetzten Welt. In der Vergangenheit hat es sich immer für uns bewährt, im Rahmen der EU an der Seite unserer Partnerländer zu handeln. Der Druck auf das Steuersystem und die Regulierung des Finanzsektors besteht schon seit Jahrzehnten und ist eigentlich eine Konstante in der rezenten Wirtschaftsgeschichte Luxemburgs. Meiner Meinung nach sorgen die internationalen Entwicklungen aber nicht nur für Unsicherheit, sondern bieten im Gegenteil Rechtssicherheit und einen international verbindlichen Rahmen, innerhalb dessen Luxemburg viele seiner Pluspunkte besser zum Tragen bringen kann. Wir arbeiten daher konstruktiv auf europäischer und internationaler Ebene an der Ausarbeitung dieser neuen Regeln mit, was auch allseits positiv anerkannt wird. Auch wenn ich trotz der Risiken die finanziellen Aussichten also nicht so negativ sehe, gehört zu einer verantwortungsvollen Politik auch ein verantwortungsvoller Umgang mit den Staatsgeldern. Die Regierung hat sich daher im Koalitionsvertrag verpflichtet, die Staatsschulden dauerhaft unterhalb von 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu halten und die Vorgaben aus dem EU-Stabilitätspakt stets zu respektieren. Natürlich ist es angesichts weltweiter und unvorhersehbarer Krisen wie der Pandemie oder des Ukrainekriegs nicht einfach - die EU-Regeln sind nicht ohne Grund bis Ende 2023 ausgesetzt —, aber die ehrgeizige Zielsetzung gilt für mich weiterhin. Sicher käme es bei manchen besser an, wenn wir in der aktuellen Situation noch mehr Geld ausgeben und die Schulden hochtreiben würden. Aber das wäre das Gegenteil meiner Auffassung von einer vorrausschauenden und verantwortlichen Finanzpolitik. Die Zeiten, in denen Länder dank negativer Zinssätze mit neuen Schulden sogar noch Geld verdienen konnten, sind vorbei. Ich setze mich daher seit meinem Amtsantritt für eine um- und vorsichtige Ausgabenpolitik ein und werde dies auch im Rahmen der Budget- und Tripartite-Verhandlungen weiterhin tun. Zu einer vorausschauenden Finanzpolitik gehört auch, die nötigen Ausgaben zu tätigen, um unser Sozialmodell langfristig abzusichern. Es gilt daher jetzt, sowohl die Bürger als auch die Wirtschaft dabei zu unterstützen, möglichst unbeschadet durch die Krise zu kommen, und sich auf die Zeit danach vorzubereiten. Denn nur gesunde Betriebe garantieren auch in Zukunft sichere Arbeitsplätze und zuverlässige Steuereinnahmen. Ich denke, dass gerade Unternehmer eine solche maßvolle und vorausschauende Politik gut verstehen, weil sie in ihren Betrieben ebenso verantwortungsvoll planen und investieren.

d'Handwierk: Luxemburg muss bis 2030 sehr ehrgeizige Ziele im Kampf gegen den Klimawandel erfüllen. Auf Unternehmensebene sind Investitionen, die darauf abzielen, den CO2-Fußabdruck zu verringern, aus wirtschaftlicher Sicht jedoch nicht immer rentabel. Glauben Sie, dass neue Steuermechanismen die Energiewende beschleunigen könnten, indem sie Unternehmen dazu bringen, mehr in diese Richtung zu investieren?

Yuriko Backes: Steuern haben natürlich eine Lenkungsfunktion. Die Regierung hat nach der Pariser Klimakonferenz bereits mit Blick auf den nationalen CO2-Fußabdruck 2021 eine CO2-Steuer von 20 Euro/tCO2 eingeführt. 2022 wurde sie auf 25 Euro/tCO2 erhöht und sie hat sich mittlerweile neben dem Emissionshandel bewährt als kosteneffizientes Instrument zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Investitionen von Unternehmen, die darauf abzielen, energieeffizienter zu produzieren oder weniger fossile Energieträgern zu nutzen, sollten sicherlich gefördert werden. Ob nun Steuermechanismen oder aber Subventionen am besten geeignet sind, die nötigen Anreize zu geben, muss im Detail analysiert werden. Ich bin jedenfalls offen für weitere Initiativen auf diesem Gebiet.
Die aktuelle Krise beweist sicherlich eins: Investitionen für den Klimaschutz und die Energiesicherheit sind heute unabdingbar für alle Unternehmen. Dazu kommt, dass Investoren zunehmend auf Nachhaltigkeit setzen. Unternehmen, die gezielt in Energieeffizienz und die Reduzierung ihres CO2-Fussabdrucks investieren, werden es in Zukunft demnach leichter haben, sich zu finanzieren. Luxemburgs Finanzplatz gehört beim Thema Nachhaltigkeit schon lange zu den Vorreitern mit seinen zahlreichen öffentlich-privaten Partnerschaften. Und wir haben auch schon im steuerlichen Bereich agiert: Fonds, die auf nachhaltige Investitionen setzen, profitieren von einem niedrigeren Steuersatz bei der Abonnementsteuer.

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