Interview von Pierre Gramegna in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Die Krise des Euros ist vorbei"

Interview: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Carsten Germis)

FAZ: Was wäre Ihnen lieber: ein Deutscher als Chef der EZB oder ein Deutscher als Nachfolger von Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission?

Pierre Gramegna: Ich freue mich, dass die deutsche Regierung es erwägt, beim EZB-Vorsitz oder bei der Kommission starke Kandidaten ins Rennen zu schicken. Die Kommission ist der Motor der Europäischen Union, der Motor der Initiativen. Wenn Deutschland da den Finger hebt, zeigt das, dass es die Europäische Union voranbringen will. Das ist für mich ein gutes Zeichen.

FAZ: Luxemburg würde das unterstützen?

Pierre Gramegna: Erst mal muss man abwarten, wer sich da als Kandidat zeigen wird. Wenn Deutschland bei der Nachfolge von Juncker eventuell antritt, freut mich das. Es wäre ein unübersehbares Signal, dass Deutschland Europa und die europäische Integration voranbringen will.

FAZ: Sollte man über die Frage, wer die Kommission führt, nicht die Bürger Europas abstimmen lassen?

Pierre Gramegna: Schon die letzte Wahl des Kommissionspräsidenten war ganz anders gestaltet als die vorigen, wo die Mitgliedstaaten, also die Regierungschefs, das unter sich entschieden haben. Jean-Claude Juncker war der Erste, der eine Kampagne gemacht hat, die von der größten politischen Gruppierung im Europäischen Parlament gestützt wurde. Der Prozess war damit schon viel demokratischer. Von einer direkten Wahl halte ich nichts. Das praktizieren wir auch in unseren eigenen Ländern nicht.

FAZ: Was halten Sie von einem europäischen Finanzminister, wie Frankreichs Präsident Macron ihn vorschlägt?

Pierre Gramegna: Luxemburg ist der Meinung, dass das mittel- oder langfristig eine gut Idee sein könnte. Kurzfristig ist das nicht der Fall.

FAZ: Warum nicht?

Pierre Gramegna: Der Chef der Eurogruppe ist selbst in seinem Land Finanzminister. Er weiß, wie schwer es ist, die Regeln, die wir uns mit dem Maastricht-Vertrag gegeben haben, durchzusetzen. Ein europäischer Finanzminister würde das von außen anordnen.

FAZ: Und damit Brüssel stärken und die europäische Integration vertiefen?

Pierre Gramegna: Wenn man sehr viel mehr nationale Souveränität an die Eurozone abtreten will, dann muss man das verhandeln. Das geht nur Schritt für Schritt. Es ist nicht gut, in den Debatten über die EU immer wieder das Institutionelle in den Vordergrund zu schieben. Das ermüdet die Leute. Die fragen sich zu Recht, was ihnen das bringt. Es geht doch erst mal darum, dass die Eurozone besser funktioniert. Das andere ist doch zweitrangig.

FAZ: Also auch keinen eigenen Haushalt der Eurozone?

Pierre Gramegna: Einen eigenen Eurohaushalt sehe ich auch eher mittelfristig. Dass man die Eurozone im Rahmen des Haushalts der EU sichtbarer macht, das kann ich mir vorstellen.

FAZ: Wie soll das aussehen?

Pierre Gramegna: Das weiß keiner. Wie ein europäischer Finanzminister genau aussehen soll, weiß auch noch niemand. Wir haben in den letzten Monaten viel beschlossen, was die Eurozone stärkt. Das ist für den Erfolg der Eurozone wichtiger als die Fokussierung auf institutionelle Fragen.

FAZ: Ist die Krise des Euros überwunden, nachdem Griechenland wieder Zugang zu den Finanzmärkten hat?

Pierre Gramegna: Die Nachricht, dass Griechenland wieder Zugang zu den Märkten hat, ist europaweit erstaunlich wenig beachtet worden. Ich bin jetzt seit fast 5 Jahren Finanzminister und war bei den Verhandlungen sehr dicht dabei. Wenn Sie zurückschauen, wie die Medien 2015 darüber berichtet haben, dann konnte man den Eindruck bekommen, die Eurozone fällt zusammen. Jetzt, wo der Fall gelöst ist, redet kein Mensch mehr über Griechenland.

FAZ: Die Krise des Euros ist also vorbei?

Pierre Gramegna: Ja. Der Euro hat in der Finanzkrise seine Pubertät überwunden. Und nach der Pubertät ist man immer stärker. Wir haben uns Instrumente für den Fall gegeben, wenn solche Krisen wiederkommen sollten. Wir sind auf jeden Fall in ruhigeren Gewässern, und für die Zukunft besser gewappnet.

FAZ: Auch für den Brexit?

Pierre Gramegna: Der Brexit hat Auswirkungen auch auf die europäische Finanzpolitik. Das Vereinigte Königreich hat mit London einen Finanzplatz, der sehr weltoffen ist. Die Briten haben in der EU bei Finanzdienstleistungen immer eine sehr liberale Position eingenommen. Diese Stimme war und ist sehr wichtig, damit man nicht in die Versuchung kommt, Mauern um Europa zu bauen.

FAZ: Sie werden Ihren britischen Kollegen vermissen?

Pierre Gramegna: In diesem Punkt ganz sicher.

FAZ: Gibt es Vereinbarungen für die Zeit nach dem Brexit?

Pierre Gramegna: Wir sind jetzt auf einen vernünftigeren Weg gekommen. Auch die Engländer sagen mittlerweile, dass wir für die Finanzleistungen zu einer Adhoc-Lösung kommen müssen. Eine Idee, die da im Raum steht, ist die Idee der Äquivalenz, so dass die britischen und die EU-Regelwerke auch nach dem Brexit koexistieren können. Da ist ein Weg möglich. Ich hoffe, dass die Kommission und London diesen Weg im Interesse beider Seiten gehen. Sonst schwächen wir Europa als Ganzes. Wenn London den Zugang zu den europäischen Finanzmärkten ganz verliert, dann wird das, was London verliert, nicht nach Paris, Frankfurt oder Luxemburg kommen. Gestärkt werden eher die Wall Street oder die asiatischen Finanzplätze.

FAZ: Wann kommen europäische Steuern?

Pierre Gramegna: Gemach. Da sollten wir nicht von null auf hundert gehen. Wir haben ein europäisches Budget, das relativ klein ist. Es stellt gerade mal ein Prozent des BIP von ganz Europa dar, und das ist finanziert. Bevor man über europäische Steuern redet, muss man klären, was Europa überhaupt an zusätzlichen Aufgaben übernehmen soll. Was ist der Kompetenzbereich der EU? Wenn man sich darüber einig ist, wo Europa mehr tun soll, dann kann man darüber reden, wie man das Geld hereinbringen will. Aber die Sache im ersten Schritt anzupacken über eigene europäische Steuern ist das Unglücklichste, was man machen kann. Mit mehr oder neuen Steuern gewinnt man keine Sympathien.

FAZ: Was halten Sie von der Steuerharmonisierung?

Pierre Gramegna: In den letzten Jahrzehnten haben wir den Steuerwettbewerb immer sehr groß geschrieben. Mit der internationalen Finanzkrise sind wir jedoch in eine Lage gekommen, in der die finanzielle Lage vieler Staaten immer schwieriger geworden ist. Die Bekämpfung der Steuerflucht und die mangelnden Steueraufkommen in manchen Ländern haben dazu geführt, dass in der Welt eine neue Steuerlandschaft ausgehandelt wurde. Wir sind heute nicht mehr da, wo wir vor der Finanzkrise waren. Damals war Steuerwettbewerb eine Priorität. Das ist heute anders geworden. Da hat sich Luxemburg auch strecken müssen, und wir haben unser Steuersystem angepasst. In Europa bewegt sich sehr viel bei der Harmonisierung der Steuern.

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